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  • Eklat um Roter Stern Leipzig

Neuer Skandal in Sachsens Fußballprovinz

In Schildau werden Fans von Neonazis angegriffen. Der Heimverein fühlt sich von linken T-Shirts provoziert

  • Ullrich Kroemer, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass etwa 30 Neonazis nach dem für sie enttäuschenden 0:4 des TSV Schildau gegen Roter Stern Leipzig (RSL) den Platz stürmten, konnte die Polizei gerade noch verhindern. Wenig später attackierten rechte Gewalttäter dann doch noch Fans des antirassistischen Leipziger Amateurfußballklubs auf deren Abreise aus Nordsachsen. Auf dem Schildauer Marktplatz und bei der Fahrt zur Autobahn in einem Waldstück flogen trotz Polizeieskorte Flaschen auf Autos, Seitenspiegel wurden abgetreten, zwei Fahrzeuge beschädigt. Menschen kamen glücklicherweise nicht zu Schaden.

Nicht nur die Szenen nach Abpfiff machten das Gastspiel des Kiezklubs aus Leipzigs Süden bei den selbst ernannten Schildbürgern unweit von Torgau erneut zum Skandal. Bereits vor Anpfiff hatten Spieler und Verantwortliche der »Sterne« T-Shirts mit der Aufschrift »Nazis raus aus den Stadien« auf Geheiß des Vereins, des Schiedsrichters und des Sächsischen Fußball-Verbandes (SFV) ausziehen müssen. Der Grund: Das Shirt, das die RSL-Mitglieder aus Solidarität zum SV Babelsberg 03 trugen, wurde als Provokation gedeutet.

Der Brandenburger Regionalligist war seinerseits vom Nordostdeutschen Fußballverband zu 7000 Euro Strafe verurteilt worden, weil seine Anhänger im Spiel gegen Energie Cottbus »Nazischweine raus« skandiert hatten, während im Gästeblock Naziparolen gegrölt und der Hitlergruß gezeigt worden war. Zum Verbot der Solidaritäts-Shirts erklärte Schildaus Vereinspräsident Uwe Tempel der »Torgauer Zeitung«, die Aufschrift sei gegen die Absprachen gewesen, »denn dadurch sahen sich wieder andere Zuschauer provoziert.« Ordner hatten zudem versucht, zwei nach dem Abpfiff ausgerollte antifaschistische Banner zu entfernen, was Tumulte auslöste. Die Polizei forderte daraufhin die Leipziger Fans auf, die Banner wieder einzurollen.

Engagement gegen Nazis als Provokation für Mitglieder und Fans des Heimvereins? Von Verbandsvertretern und Polizei getragen? Selbst eine Räumung des Gästeblocks soll wegen der auch dort getragenen »Nazis raus«-Shirts im Raum gestanden haben. »Juristisch gesehen ist das hanebüchen«, sagt Jürgen Kasek. Der Jurist und Sprecher der sächsischen Grünen war selbst vor Ort. Man dürfe von jedem Verein erwarten, dass er zu dieser Botschaft stehe. »Das ist keine politische Botschaft, sondern Grundlage unserer Demokratie«, sagt er.

Der Umkehrschluss: Wenn sich ein Verein dadurch provoziert fühlt, seien sich die Verantwortlichen sehr wohl im Klaren darüber, dass sich Personen mit rechter Gesinnung unter den Zuschauern befänden. Wie der Rote Stern unter dem ironischen Titel »Schildau hat kein Naziproblem« mit Fotos auf seiner Facebook-Seite dokumentierte, trugen Stadionbesucher im Heimbereich der Schildauer Schriftzüge wie »Weißer Arischer Widerstand« sowie Slogan und Logo der Neonazi-Gruppe »Schildauer Jungs« auf ihren Hemden. Eine Person soll den Hitlergruß gezeigt haben. Aus dem Mob tönten RSL zufolge Rufe wie »Judenstern« und »Zeckenpack« in Richtung der 150 Gästefans, die mit einem »Nazischweine«-Chor antworteten.

»Naziklamotten und Naziparolen auf Schildauer Seite«, schreibt der Rote Stern, hätten »deutlich weniger engagierten Widerspruch« hervorgerufen als die selbstverständliche Aufschrift auf den eigenen Shirts. »Indem wir uns gegen Nazis positionieren, machen wir das, was der DFB von jedem Verein verlangt«, und was grundsätzlich von jedem zu erwarten sei, argumentieren die Leipziger. Jeder sei »in der Pflicht, sich gegen Diskriminierung stark zu machen«. Dynamo Dresden etwa lief am vergangenen Wochenende in der 2. Liga auf Initiative eines antirassistischen Fanklubs mit dem Slogan »Love Dynamo - Hate Racism« auf.

Schildaus Präsident Tempel mag sich zu dem Thema im »nd« aber nicht mehr äußern. Es nerve ihn nur noch, sagt er: »Wir stehen für Fußball und nicht für politische Botschaften.« Die Verantwortung für Naziklientel im Publikum und Attacken schiebt er von sich. Der »Torgauer Zeitung« sagt er, ihm sei nicht »ansatzweise« bekannt, »dass Schildauer oder aber jemand aus der Umgebung an diesen Ausschreitungen nach dem Spiel beteiligt waren«. Vielmehr seien »Leute aus Brandenburg in Schildau unterwegs« gewesen, etwa welche, »die als Union-Berlin-Fans gekennzeichnet waren«. Dass Mitglieder der Neonaziszene wie Benjamin Brinsa oder der Unternehmer Thomas Persdorf Vereinsmitglied sind oder unter den Zuschauern waren, und beide im Klub vernetzt sind, ignorieren Tempel und andere Schildauer Verantwortliche.

Das Wegschauen, Dulden und Resignieren, die Angst vor klarer Haltung und Öffentlichkeit sowie bisweilen eigene menschenfeindliche Einstellungen der Vereinsvertreter machen Klubs wie Schildau zu Anlaufstellen für Neonazis in der Provinz. »Schildau steht stellvertretend für eine Reihe von Vereinen, die ihre Verantwortung beiseite schieben, weil sie sich auf die Meinung zurückziehen, dass Politik nicht ins Stadion gehöre«, sagt Jürgen Kasek. Und: »Diese Lesart wird vom SFV mitgetragen.«

Der Grünen-Politiker fordert, dass »die Vereine und Verbände, die im Breitensport Fußball generell gesellschaftliche Verantwortung tragen, grundsätzlich etwas klarstellen.« Seine Partei werde den Verband zu einer Stellungnahme auffordern, kündigt er an. Der SFV wollte sich auf »nd«-Anfrage noch am Dienstag äußern, was jedoch bis zum Redaktionsschluss nicht geschah.

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