Der Zukunft zugewandt

Leipzigs Musterschüler schaffen gegen Porto wieder mal Historisches. RB aber will mehr - und das möglichst schnell

Etwas Unvergessliches zu schaffen, ist nur wenigen vorbehalten. In Leipzig hingegen wird Geschichte schreiben derzeit immer noch leicht gemacht. Am Dienstagabend setzte RasenBallsport den nächsten Meilenstein in der noch jungen Vereinsgeschichte. Als Schiedsrichter Paolo Tagliavento vor 41 000 Zuschauern um 22:37 Uhr die Partie zwischen RB und dem FC Porto abgepfiffen hatte, wurde nach dem 3:2 der erste Erfolg in der Champions League gefeiert.

Historisch. Kein Wort wurde in der Leipziger Arena wohl öfter bemüht. Zur Einstimmung auf die Partie lief nochmal der »historische Treffer von Emil Forsberg« über die Anzeigetafeln. Der schwedische Mittelfeldspieler hatte im »historischen«, weil ersten Spiel des Klubs in der Königsklasse am 13. September gegen Monaco das erste Tor erzielt. Und ganz im Sinne der eigenen Geschichtsschreibung wurden die Portugiesen vom Stadionsprecher offiziell »in der Heldenstadt« willkommen geheißen.

Später griff auch Ralph Hasenhüttl auf das naheliegende zurück und war »sehr glücklich über den historischen Sieg.« Dann wandte sich der Leipziger Trainer wieder schnell seinem derzeitigen Lieblingsthema zu: der Zukunft. Natürlich ist auch für ihn das nächste Spiel das schwerste. Den VfB Stuttgart müsse man am kommenden Sonnabend mindestens genauso ernst nehmen wie den FC Porto. Aber Hasenhüttl dachte noch weiter. Es wäre eine Sensation, in der Champions League zu überwintern. Und noch viel weiter: Angesichts des Spektakels, das seine Mannschaft gerade geboten habe, läge eine »schöne Zukunft« vor RB.

Schon nach dem Sieg am vergangenen Wochenende bei Borussia Dortmund hatte Hasenhüttl den Blick weit nach vorn geworfen. Dass er »eine sehr spannende Saison« erwarte, kann durchaus als verbale Drohung an die etablierte Konkurrenz gesehen werden. Und das nicht mal unberechtigt. Denn die Spieler machen derzeit aus seinen Worten Taten.

Wie gegen den FC Porto. Schon nach einer Viertelstunde Spielzeit war der Gegner der Verzweiflung nahe. Kopfschütteln, Schulterzucken: Immer wieder signalisierten die Verteidiger ihre Hilflosigkeit. Während RB Angriff auf Angriff folgen ließ, kannten die Portugiesen den gegnerischen Strafraum nur aus der Ferne. Die Leipziger waren im Kopf und auf den Beinen schneller. Der stete Druck führte zu Fehlern beim Gegner. Entscheidend war aber die Variabilität im Angriffsspiel von RB: direktes Kombinationsspiel durch die Mitte hinein bis in den Strafraum, schnelle Läufe über die Außenbahnen bis zur Grundlinie mit folgendem Pass in den Rücken der Abwehr oder bestens heraus gespielte Schusspositionen aus der Ferne. Zudem hat der ballführende Spieler meist mehrere Optionen.

Die Mannschaft des FC Porto war damit sichtlich überfordert. Sie wusste selten, wie sie verteidigen musste. Die Leipziger Tore als Beleg: Nach acht Minuten erzielte Willi Orban die Führung, ein Abstauber aus kurzer Distanz. Entscheidend war der kurz zuvor gewonnene Zweikampf von Marcel Halstenberg. Der Linksverteidiger hatte am gegnerischen Strafraum Druck gemacht und einen Eckball herausgeholt. Der 26-Jährige, einer der besten am Dienstagabend, leitete auch den zweiten Treffer nach 38 Minuten ein: Pass Halstenberg, Hacke Emil Forsberg, direkter Pass Marcel Sabitzer, Tor Forsberg. So rasant ging es weiter, zwei Minuten später erzielte Stürmer Jean-Kevin Augustin nach einer schnellen Balleroberung Tor Nummer drei: Das kompromisslose Leipziger Pressing begann wieder weit vorn, ließ den Gegnern im Spielaufbau keine Zeit, verunsicherte sie und provozierte Fehler.

Am Ende des Spiels lautete das Chancenverhältnis 21:9. Dass RB Leipzig nicht mehr Tore geschossen hat, könnte am Ende in dieser Gruppe mit Besiktas Istanbul und Monaco noch wehtun. Ebenso wie die beiden vermeidbaren Gegentreffer: Schon zur Halbzeit stand es 3:2 - und Porto hatte eigentlich keine Chance.

Wirklich böse war Ralph Hasenhüttl darüber nicht. Er nennt es einen »Lernprozess«. Vor der neuen, großen Herausforderung Königsklasse habe er seinen Spielern keinen allzu großen Druck gemacht. »Wir wollen ihnen Zeit geben.« Da er aber anscheinend eine Mannschaft von lauter Musterschülern hat, geht es dann doch etwas schneller als anderswo. Die Champions League im Crashkurs: Remis im ersten Spiel gegen Monaco, Niederlage im ersten Auswärtsspiel bei außergewöhnlicher Kulisse in Istanbul. Alles in Ordnung für Hasenhüttl. Aber: »Heute gab es keine Ausreden mehr«, offenbarte er nach der Partie den Hinweis an seine Spieler, irgendwann auch liefern zu müssen.

Gefordert, getan. Nun will der Trainer »versuchen, die Limits noch weiter nach oben zu verschieben.« Da war Hasenhüttl wieder bei seinem Lieblingsthema. Zwar ist einerseits die Erleichterung schon zu spüren, dass die überraschend guten Leistungen aus der Vorsaison in der Gegenwart bestätigt werden können. Aber: RasenBallsport Leipzig kann die Zukunft kaum erwarten. Denn der Klub ist getrieben vom Erfolg. Und der wird im Fußball nicht an gewonnenen Spielen, sondern an Titeln gemessen.

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