nd-aktuell.de / 19.10.2017 / Politik / Seite 1

Polens Staatschef für EU-Beitritt der Türkei

Erstmals seit dem Putschversuch 2016 besucht Erdogan ein Land der Europäischen Union

Wojciech Osinski, Warschau

»Entweder Sie akzeptieren die Türkei oder auch nicht, aber führt uns nicht unentwegt an der Nase herum«, forderte Recep Tayyip Erdogan während seines Warschau-Besuchs am Dienstag. Es war der erste Staatsbesuch des türkischen Präsidenten in einem EU-Land seit dem Putschversuch im Juli 2016 und der folgenden Welle von Repressionen in der Türkei. In Polen wurde Erdogan mit militärischen Ehren empfangen und traf mit Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda zusammen. Das Briefing mit Premierministerin Beata Szydlo wurde kurzfristig abgesagt.

Duda sprach sich bei dem Besuch aus Ankara für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei aus. »Ich hoffe, dass die Wege der EU und der Türkei in dieselbe Richtung gehen werden und dass dies in deren EU-Beitritt resultieren wird«, so Polens Präsident. »Wir haben die Unterstützung Polens, aber aus Brüssel höre ich keine klaren Aussagen«, sagte Erdogan, der während der Pressekonferenz mehrfach die »langen Beitrittsverhandlungen« kritisierte. Wegen der Lage in der Türkei stagnieren die Gespräche zwischen Brüssel und Ankara seit Monaten, wurden aber nicht offiziell abgebrochen. Das Verhältnis zur Türkei wird auch Thema beim EU-Gipfel sein, der am Donnerstag in Brüssel beginnt.

»Wir hatten eine sehr offene Diskussion über die Situation in der Türkei«, betonte Duda in Warschau. Sein Berater Andrzej Szczerski hatte bereits zuvor in einem Interview unterstrichen, es werde in den Gesprächen mit Erdogan »keine Tabus« geben. Während des Treffens im Präsidentenpalast bekräftigte Duda, Ankara sei ein bedeutsamer Partner in Sicherheitsfragen und beim Thema Migration. Polens Staatsoberhaupt verwies zudem auf die geopolitische Lage und das militärische Potenzial der Türkei.

Erdogan nutzte die Gelegenheit, sich als Bittsteller in Szene zu setzen. Die Kosten für die Betreuung syrischer und irakischer Flüchtlinge hätten 30 Milliarden Euro überschritten, die EU habe der Türkei bisher jedoch nur 885 Millionen Euro überwiesen, beschwerte sich der Gast. Er beklagte überdies, dass Lateinamerikaner visafrei in die EU einreisen dürften, wohingegen der Türkei in jeglicher Hinsicht »Hindernisse« in den Weg gelegt würden.

Im Vorfeld des Besuchs erschienen in einigen polnischen Medien bissige Kommentare über ein Treffen »zweier Präsidenten, die mit Rechtsstaatlichkeit nichts am Hut haben«. Doch sahen Kommentatoren die Zusammenkunft auch als Chance: Polen verfolgt den aktuellen Zwist zwischen Deutschland und der Türkei mit Sorge. Die polnische Regierung fühlt sich von Moskau bedroht und betont immer wieder, sie brauche einen verlässlichen NATO-Partner an der Ostflanke, die sich - ginge es nach Warschau - gern bis zum Schwarzen Meer erstrecken könnte.

Beide Länder blicken auf ein besonderes diplomatisches Verhältnis zurück. Im 19. Jahrhundert erkannte das Osmanische Reich als einziges Land der Welt die Teilungen Polens nicht an und akkreditierte in Istanbul einen polnischen Botschafter.