Urban sein reicht nicht aus

Die Linkspartei muss Strategien gegen die AfD finden und auch auf dem Land attraktiv werden, sagt Berlins Kultursenator Klaus Lederer. Ein Gastbeitrag.

  • Klaus Lederer
  • Lesedauer: 8 Min.

Die Berliner LINKE hatte bei der Bundestagswahl vor dreieinhalb Wochen das beste Ergebnis aller Landesverbände. Wir trugen überdurchschnittlich bei zum zweitbesten Wahlergebnis in der Geschichte der LINKEN auf Bundesebene. In den Ostberliner Wahlkreisen blieben wir stärkste Kraft – und legten gleichzeitig auch in den westlichen Stadtteilen flächendeckend zu. Selbst in einigen Kiezen hier, etwa in Kreuzberg, im Wedding, in Moabit oder Neukölln, sind wir mittlerweile stärkste politische Kraft. Wir haben unsere vier Direktmandate verteidigt und nur knapp ein weiteres nicht errungen. Wir haben uns sowohl im Vergleich zur vorigen Bundestagswahl 2013 als auch zur Wahl zum Abgeordnetenhaus 2016 in der Gunst der Wählerinnen und Wähler verbessert.

All das gelang uns als Regierungspartei auf Landesebene; unsere klar antirassistische und weltoffene Positionierung findet Zuspruch. Ebenso unser Anspruch, nicht nur für, sondern auch mit den Menschen Politik zu machen, also mehr Partizipation bei politischen Entscheidungen und mehr Freiräume etwa für die Kultur in unserer Stadt zu organisieren. Nicht zuletzt haben wir aber auch die LINKEN Kernthemen der sozialen Gerechtigkeit bereits im Wahlkampf konkret und lösungsorientiert benannt: bezahlbare Mieten, mehr Wohnungen, bessere Bezahlung, mehr Kita-Plätze und Schulsanierung oder der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Die drei Schwächen der LINKEN

Ist also alles gut? Mitnichten. Denn die Bundestagswahl sowie die Landtagswahlen der jüngeren Vergangenheit haben eben auch gezeigt: Die LINKE verliert ihren Status als Volkspartei im Osten erstens durch das altersbedingte Schwinden der Stammwählerschaft und zweitens durch das Abwandern von reinen Proteststimmen zur AfD. Und so stark die LINKE gesamtdeutsch in den Städten ist, so schwach ist sie drittens gerade im Westen auf dem Land.

Die Niedersachsen-Wahl und unser knappes Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde dort zeigen deutlich: Das gute Ergebnis aus dem Bund ist nicht gefestigt und unterm Strich zu fragil, um sich darauf auszuruhen. In einem echten Zweikampf zwischen SPD und CDU, aber auch nach wochenlangen parteiinternen Querelen um inhaltliche Positionen und Personal reicht unsere neue urbane Stärke bei einer kleinen Basis an Stammwählerinnen und Stammwählern eben nicht aus, um alte Schwächen auszugleichen.

Die LINKE ist also nur dauerhaft erfolgreich, wenn sie die skizzierten drei Schwächen auffängt, ohne die neue Stärke zu gefährden.

Nationale Egoismen lösen kein Problem

Ein Gegeneinander-Ausspielen unterschiedlicher Gruppen von Bedürftigen mit dem Ziel, wieder Sammelbecken eines diffusen Protestes zu werden, ist, wie Gregor Gysi in dieser Wahlanalysendebatte bereits deutlich gemacht hat, gerade nicht links. Aus unserem Grundsatz der bedingungslosen Solidarität mit allen Benachteiligten und Ausgegrenzten heraus kann ein Fokussieren auf nationale Antworten nicht der linke Weg sein.

Solch eine Fokussierung wäre auch ganz pragmatisch falsch. Eine Hinwendung zum Nationalen vertreibt Wählerinnen und Wähler aus der Flüchtlingsbewegung, es vertreibt die prekär lebenden aber global agierenden Solo-Selbstständigen, Kreative, viele Migrantinnen und Migranten, junge, europäisch aufgewachsene Menschen und damit den größten Teil derer, die zu Tausenden neu bei uns eingetreten sind und die unsere urbane Stärke nicht nur in Berlin innerhalb des S-Bahn-Rings, in Teilen Pankows und Lichtenbergs, sondern auch in Hamburg, Frankfurt am Main, Hannover oder München ausmachen.

Nicht zuletzt löst national-egoistisches Agieren keines der drängenden Probleme der globalisierten Welt. Es gibt kein Zurück, sondern nur ein Vorwärts in ein besseres digitales Jahrhundert. Das aber müssen wir weitgehend international regeln.

Das Kapital ist längst international organisiert, die Folgen kapitalgetriebener Gesellschaftsreproduktion sind nationalstaatlich nicht mehr zu steuern, geschweige denn zu beherrschen: Klimawandel, Migrationsbewegungen, Finanzmarktspekulationen oder mit beidem zusammenhängende internationale Konflikte. Aber auch die menschenrechtlich fundierte Regulierung einer vernetzten Kommunikation ist eine globale Aufgabe. Letztlich ist auch der Trend zur Verstädterung und die damit einhergehende Landflucht ein weltweites Phänomen. Zündende, mobilisierende linke Ideen und vor allem taugliche linke Praktiken für diese nicht mehr ganz so neue Welt entwickeln wir nicht mit dem verengten Blick auf nationale Lösungen.

Ein starkes Europa aus gleichberechtigten Regionen etwa ist für diese Herausforderungen viel besser geeignet als die auf aggressiv-chauvinistischen Traditionen und Mythen beruhenden und gewalttätig geschaffenen Nationalstaaten. Wie ein soziales und demokratisches Europa zum Wohle der Bevölkerung gelingt, darüber muss ich zwangsläufig mit neoliberalen Europäern wie Macron streiten, die – bei aller schweren Differenz – zumindest dies verstanden haben, im Gegensatz zu Nationalisten, die angeblich die Nöte des Volkes ernst nehmen.

Jenseits der Großstädte

Wie aber verbinden wir unsere nicht-nationalen Überzeugungen und Notwendigkeiten nun mit der Herausforderung, linke Politik auch jenseits der Großstädte attraktiv und in relevanten Größenordnungen (wieder) wählbar zu machen? Der Rückgang der Wählergunst im Osten und unser vergleichsweise schwaches Abschneiden in den Außenbezirken der Stadt, zeigen, dass wir bei dieser Frage auch in Berlin noch genug zu tun haben.
Gleichwohl meine ich, die Bausteine für Antworten ebenfalls bei uns selbst finden zu können, denn ich sehe zwei wichtige Grundlagen für unseren Erfolg:

Erstens: Unsere neuen, gehaltenen und wiedereroberten Hochburgen haben wir, weil es vor Ort aktive und lebendige Basisstrukturen gibt. Unsere Mitglieder waren nicht nur aber auch im Wahlkampf präsent in den Straßen, auf den Plätzen, auf Podien, vor Haustüren und nicht zuletzt auf den Social-Media-Kanälen. Ohne Parteiaufbau ist alles nichts. Natürlich haben wir es da in einer wachsenden Stadt mit jungen Menschen einfacher als in Gegenden, die vom Wegzug und Überalterung geprägt sind. Dieser Umstand verpflichtet uns als Gesamtpartei, solidarische Wege zu finden, auch dort die LINKE-Fahne hochzuhalten, wo es uns strukturell schwer fällt.

Zweitens: Es lohnt sich, in die Verantwortung zu gehen, die Rahmenbedingungen zum Besseren zu verändern. Dieser Gestaltungsanspruch setzt sich zum Glück mehr und mehr durch in der Partei, wir dürfen nur nicht müde werden, ihn lokal, regional, auf Landes- und Bundesebene auch Realität werden zu lassen.

Mehr als das Nötigste

Dabei sollten wir aber auch bedenken, dass das gute Leben nicht nur auf materieller Absicherung gründet. Die Menschen benötigen eine Lebensperspektive, die übers Überleben hinausgeht.

Deshalb sollten wir künftig viel mehr als bisher nicht nur die Verhältnisse anprangern, sondern sie immer weiter zum Tanzen bringen. Dazu müssen wir vom Recht haben zum Kümmern und vom Kümmern zum Ermöglichen kommen. Das englische Wort dafür wäre »Empowerment«. Eine linke Politik, die die Lebenssituationen der Menschen ernst nimmt und mit ihnen gemeinsam zum Besseren verändert, ist das, was wir uns für Berlin vorgenommen hatten, als wir vor rund zwei Jahren in den damals beginnenden Wahlkampf gestartet sind. Bis jetzt, so zeigen Umfragen und Wahlergebnisse, gelingt uns das ganz ohne permanente Bezugnahme auf die reaktionären Agenden anderer ziemlich gut. Und das kann auch außerhalb von Innenstädten funktionieren, wenn wir uns da reinhängen. Denn eine solche Politik unterscheidet nicht zwischen innen und außen oder deutsch und nichtdeutsch. Sie unterscheidet zwischen unfair und fair, ausgrenzen und mitmachen.

Klaus Lederer ist Bürgermeister, Kultur- und Europasenator in Berlin.

Mit diesem Beitrag beenden wir die Debatte »Die LINKE nach der Bundestagswahl« im »nd«. Weitere Beiträge zu diese Debatte waren:

>> Wenn Flüchtlingspolitik soziale Gerechtigkeit außer Kraft setzt von Oskar Lafontaine

>> Links ist an der Seite der Schwachen von Gregor Gysi

>> Wider die Normalisierung! von Christine Buchholz

>> Praktische Solidarität organisieren von Janine Wissler und Axel Gerntke

>> Gegen die Haltung ‘Deutsche zuerst’ von Bernd Riexinger

>> Rein ins Offene, raus Richtung Zukunft von Alexander Fischer

>> Links für ein städtisches progressives Milieu von Jakob Migenda

>> Lafontaine und Wagenknecht liegen falsch von Juliane Nagel

>> Mehr als blinder Protest von Felix Pithan

>> Lafontaine hat das Recht auf Asyl nicht in Frage gestellt von Astrid Schramm

>> Der Rassismus im lafonknechtschen Wagentainment von Stephan Lessenich

>> Was die 2. Internationale zu linker Flüchtlingspolitik sagte von Özlem Alev Demirel

>> »Richtige Antworten« der LINKEN auf dem Prüfstand von Andreas Wehr

>> Rassismus ist das Problem, nicht Geflüchtete von Nicole Gohlke, Hubertus Zdebel und Christine Buchhholz

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