12.000 protestieren gegen Rechtsaußen im Bundestag

Mehr Menschen als erwartet beteiligten sich an der Demo gegen den Einzug der Rechtspopulisten in das deutsche Parlament

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.

»Am Wahlabend war ich geschockt - deswegen organisiere ich diese Großdemo vor dem Reichstag und hoffe, dass viele Tausend mit mir für ein vielfältiges und weltoffenes Deutschland demonstrieren«, sagt Ali Can auf der großen Bühne vor dem Brandenburger Tor zum Auftakt der Demonstration unter dem Motto »Gegen Hass und Rassismus im Bundestag«. 12 000 Menschen sind gekommen, um vor der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags am Dienstag gegen den Einzug der AfD ins Parlament zu demonstrieren.

Er merke, dass das Klima in Deutschland rauer werde und sei entsetzt, wie wenig Wert scheinbar auf das Grundgesetz gelegt wird, so Can. »Mir wurde immer gesagt, halte dich an das Grundgesetz, nun frage ich mich, ob viele Rechte das Grundgesetz - zum Beispiel Artikel 3, Diskriminierungsverbot - überhaupt gelesen haben.« der 23-jährige Ali Can kam als Flüchtling nach Deutschland und schrieb zuletzt ein Buch über seine Erfahrungen mit einer von ihm eingerichteten »Hotline für besorgte Bürger«.

Während auf manchen Demonstrationen nur die Wenigsten ein Transparent mitführen, ist es hier umgekehrt: Nur wenige haben weder Schild noch Banner dabei.

Auch viele Künstler unterstützen die Aktion und spielen auf der Kundgebung. So Culcha Candela, Astrid North oder Jannik Brunke, der ein Cover des Ärzte-Songs »Schrei nach Liebe« zum Besten gibt. Die Sängerin Bernadette La Hengst ist mit einer Gruppe Kulturschaffender zugegen und versprüht mit goldbestickter Kleidung Glamour, während Mitstreiter goldene Fahnen aus Rettungsdecken schwenken. Vor vier Monaten habe man sich gegründet, um als Künstler, Theatermacher und Musiker dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen. »Rechte versuchen eine Kulturhegemonie zu erringen. Dagegen treten wir ein und fordern: Rechte dürfen nicht die Bühne entern«, so la Hengst. Kunst komme für sie von Kommunizieren, und in diesem Sinne plane sie gerade eine Performance am Staatsschauspiel in Dresden. »Das wird eine echte Herausforderung«, sagt die Musikerin.

La Hengst denkt, dass man sich durchaus mehr mit Themen wie Heimat beschäftigen müsse, allerdings sei für sie klar, dass es mehrere Heimaten gebe. »Mein Heimatbegriff ist sehr weit. Ich fühle mich weltweit mit Menschen verbunden, mit denen ich beispielsweise gearbeitet habe.«

Auch für Christoph Bautz von Campact ist klar, dass man nun reagieren müsse. »Dieses Land spaltet sich. Viele haben Abstiegsängste, dagegen muss man die soziale Komponente stärken. So muss man über eine garantierte Rente, über Kinderarmut und einen Mindestlohn ohne Schlupflöcher nachdenken. Eine kluge Mischung aus Abgrenzung und Dialog ist nötig.«

Allerdings ist Bautz wichtig, dass man auf der Demonstration nicht gegen die demokratische Wahl der AfDprotestiere. »Allerdings demonstrieren wir dagegen, dass in der AfD Rechtsextreme und Rassisten sind, die nun im Bundestag sitzen.« Die AfD bezeichnet die Demonstration als »Anschlag auf die Demokratie«.

Bautz hofft, dass sich in Richtung soziale Gerechtigkeit etwas bewegt im neuen Bundestag. »Immerhin haben die Grünen stark mit dem Thema soziale Gerechtigkeit plakatiert.« »Wehret den Anfängen«, ruft Bautz in die Menge. Und »Nie wieder!« Starker Applaus brandet auf. Dann setzt sich der Demozug Richtung Reichstag in Bewegung.

Eva Schreiber steht am Stand der LINKEN. Sie ist aus Bayern in den neuen Bundestag gewählt worden. Gefragt, wie sich die Linke gegenüber der AfD verhalten wolle, sagt sie, sie müsse sich erst einmal zurechtfinden im »System Bundestag«, aber man habe sich bereits geeinigt, dass die Linksfraktion auf keinen Fall für Anträge der AfD stimmen werde.

In Bayern sei sie sehr aktiv in der Stammtischkämpferausbildung des Bündnisses Aufstehen gegen Rassismus (AgR) und habe dort viel mit Rechten gesprochen. »Manche sind gar nicht zu erreichen, aber einige fangen an nachzudenken, wenn man mit ihnen redet. Einer versprach mir nach dem Gespräch, das LINKEN-Programm zu lesen. Das macht Mut, aber ich muss mich auch noch im Spiegel anschauen können.«

Die Berliner Polizei sprach von einem ruhigen Verlauf der Demonstration, ohne besondere Vorkommnisse.

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