Zäher Widerstand in Gronau

Mit Mahnwachen, Sonntagsspaziergängen und Gleisblockaden protestierten Atomgegner gegen eine Uranfabrik

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Die einen haben für ihren Einsatz gegen Atomwaffen den Friedensnobelpreis erhalten. Andere müssen sich vor Gericht verantworten, wenn sie gegen den Transport und die - auch für militärische Zwecke mögliche - Anreicherung von Uran kämpfen.

Während die Anti-Atomwaffen-Kampagne ICAN, Nobelpreisträger 2017, noch die Auszeichnung durch das Osloer Komitee feierte, wurde Cécile Lecomte vom dem Amtsgericht Potsdam zu einer Geldstrafe verurteilt. Die vorsitzende Richtern befand die auch als »Eichhörnchen« bekannte Aktivistin eines »vorsätzlichen Verstoßes gegen die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung« für schuldig.

Lecomte und einer weiteren Atomkraftgegnerin war es im Jahr 2016 gelungen, durch eine Kletteraktion auf der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Bremen einen mit Urankonzentrat beladenen Zug mehrere Stunden lang aufzuhalten. Das für eine Fabrik in Südfrankreich bestimmte Uran war zuvor über den Hamburger Hafen mit einem Schiff der Hamburger Reederei MACS nach Deutschland gelangt.

Es war nicht das erste Mal, dass das »Eichhörnchen« mit einer spektakulären Abseilaktion Atom- und Urantransporte zumindest zeitweise aufhalten konnte. Knapp ein Dutzend Mal stand sie deshalb schon vor Gericht. Lecomte erklärte, dass Urantransporte und der Betrieb von Uranfabriken oft erst durch solche Aktionen ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden würden und diese damit einen Beitrag zu einem echten Atomausstieg leisten können. Das Gericht teilte diese Argumentation nicht.

Im Zentrum des europäischen Netzwerkes von Urantransporten und -Fabriken steht die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau. Sie ist seit 1985 im Betrieb. Das dort angereicherte Uran nutzen Betreiber von Atomkraftwerken für Brennelemente. Die Anlage ist vom deutschen Atomausstieg ausgenommen und hat eine unbefristete Betriebsgenehmigung.

Natururan besteht nur zu etwa 0,7 Prozent aus dem spaltbaren Uran-Isotop U 235. 99,3 Prozent stammen aus dem schwer spaltbaren Isotop U 238. Die beiden Isotope unterscheiden sich im Atomgewicht und im radioaktiven Verhalten. Bei der Urananreicherung für Atomkraftwerke wird der Anteil von U 235 auf drei bis vier Prozent erhöht. Noch höher angereichertes Uran kann zum Bau von Atombomben genutzt werden. Die Anreicherung in Gronau erfolgt mit hintereinandergeschalteten Gaszentrifugen. Zuvor muss das Uran in einem chemischen Prozess in gasförmiges Uranhexafluorid umgewandelt werden.

Das abgereicherte, also nicht mehr brauchbare Uran wurde bis 2009 nach Russland transportiert, berichtete Udo Buchholz vom Arbeitskreis Umwelt (AKU) Gronau dem »nd«. Die kleine Initiative protestiert seit vielen Jahren mit Mahnwachen und Sonntagsspaziergängen gegen die am Stadtrand gelegen Fabrik. Derzeit werde ihrem Wissen nach das abgereicherte gasförmige Uran in großen Mengen nach Frankreich gebracht und dort wieder in seine verschiedenen Bestandteile aufgetrennt. Die Pläne für eine lange Zeit angekündigte Lagerhalle in Gronau für bis zu 60 000 Tonnen Uranmüll verfolge man hingegen vorerst nicht mehr weiter.

Die Ungewissheit sorgt für Unmut. »Was soll zukünftig mit dem Uran in Frankreich oder Großbritannien geschehen? Wird es von dort weiter exportiert?«, fragte Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen. Und pocht auf Antworten vom Betreiber Urenco, von der nordrhein-westfälischen Landesregierung sowie vom Bund.

Buchholz, Eickhoff und ihre Mitstreiter kritisieren, dass die Uranzüge, aber auch die Urantransporte mit Lastwagen ohne Polizeischutz fahren. Auch Hilfsorganisationen wie das THW oder die Feuerwehren würden nicht über bevorstehende oder laufende Transporte informiert. »Bei einem Unfall mit Freisetzung von Uranhexafluorid wäre eine Katastrophe programmiert«, warnt Buchholz: »Das Material ist radioaktiv und reagiert bei Freisetzungen mit Wasser, dabei entsteht unter anderem die hochgefährliche Flusssäure.«

Anfang Oktober ketteten sich Atomkraftgegner nahe Gronau an zwei Betonblöcken im Gleisbett fest. Sie konnten einen mit Hexafluorid beladenen Zug 17 Stunden lang aufhalten. Den Aktivisten drohen nun Ermittlungsverfahren und Anklagen.

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