nd-aktuell.de / 26.10.2017 / Kultur / Seite 18

Britische Brokeback Mountains

Im Kino: »God's Own Country« von Francis Lee

Caroline M. Buck
In Großbritannien ist »God’s Own Country« als bestes Spielfilmdebüt des Jahres gefeiert worden, sein Regisseur Francis Lee wird als neuer Hoffnungsträger des britischen Kinos gepriesen. Und Hoffnungsträger kann das Land zur Zeit gebrauchen, nicht zuletzt auf dem Filmsektor, wo der dräuende Brexit sich in Form wegfallender EU-Subsidien bemerkbar machen wird.

Die Begeisterung für diesen Film ist andererseits kein rein britisches Phänomen: Bei seiner Premiere auf dem Sundance-Festival gewann »God’s Own Country« den Regie-Preis - der Film funktioniert also auch in den USA. Im Panorama der Berlinale begeisterte er ebenso wie in San Francisco, wo »God’s Own Country« den Publikumspreis davontrug. Und in Edinburg, der schottischen Vitrine für die nationale Produktion, wurde dem Film dann auch offiziell das Etikett »Bester britischer Film des Jahres« verliehen.

»God’s Own Country«, das ist Yorkshire in Nord-England, Bauernland, Industrieland, wo die Sprache so rau ist wie das Wetter, der Mensch einsilbig und das Leben nicht immer einfach. Johnny Saxby, Bauernsohn, muss mit einem Vater zurechtkommen, der es am Sohn auslässt, dass er auf Krücken geht und selbst nicht mehr zupacken kann. Mit einer Großmutter, die ihm die Wäsche wäscht und die Hemden bügelt, es aber satt hat, hinter ihm herzuputzen, wenn Johnny nachts mal wieder angetrunken aus dem Pub kam. Und nicht zuletzt mit seinem Blick für die Attraktivität von Männern, der in seiner Gegend und seinem Beruf denkbar schlecht in angelernte Rollenmuster passt.

Zuviel Bier im Pub, das ist die einzige Freizeitbeschäftigung und die einzige Ausflucht. Dazu hier und da ein paar flüchtige Begegnungen am Rand von Vieh-Auktionen - wunderbar dokumentarisch die Auktion gleich zu Beginn. Und rau, beinahe gewaltsam die Kopulation mit einem, dem es vermutlich nicht viel anders geht als ihm. Im Transporter, in dem eben noch das gerade verkaufte Schlachtvieh stand. Rührend erscheinen die von vorherein zum Scheitern verurteilten Bemühungen des anderen Jungbauern, nach dem spontanen Akt noch ein paar Worte zu wechseln, ein Bier zu trinken, ein bisschen Zeit miteinander zu verbringen.

Josh O’Connor spielt Saxby mit unterdrückter Wut, einer mit zusammengebissenen Zähnen ertragenen Verzweiflung, dem Fehlen jeder Zukunftshoffnung, mit den rotbraunen Haaren und Sommersprossen und der Zweisilbigkeit des Bauern (und des Yorkshire-Man), die die Rolle fordert. Er ist kein Filmneuling, hat Kino- und Fernseherfahrung. Ein Training wie für diesen Film wird er trotzdem bisher wohl nicht erlebt haben: Zur Rolle gehören Geburtshilfe bei Kühen und Schafen, das Schichten von Mauern, das Ausmisten, das Häuten von Totgeburten und das Käsemachen. Dass Gemma Jones die Großmutter und Ian Hart den Vater spielen, wirkt bei soviel Bemühen um Authentizität fast wie ein Fremdkörper: große Namen im britischen Film, beide mit unmittelbarem Wiedererkennungseffekt. Aber sie passen sich ein.

Der einzige, der tatsächlich ein Fremdkörper ist - Gheorghe, der rumänische Saisonarbeiter (Alec Secareanu) - erweist sich bald als Glücksfall für den Hof und für den Bauernsohn. Auch wenn die erste physische Begegnung dadurch ausgelöst wird, dass Johnny Gheorge einen Zigeuner schimpft, was der offenbar gar nicht schätzt. Eine Begegnung später ist dann schon klar, dass es nun wohl zur Sache geht. Aber wer hier oben ist und wer unten, wer dominiert und wer es mit sich machen lässt, das müssen die beiden erst einmal austesten. Und Zärtlichkeit, die muss Johnny auch erst noch lernen. Weshalb denn auch chronologisch gedreht wurde, damit die Beziehung sich mit dem Filmen entwickeln kann.

Lee selbst, ein untersetzter Typ mit Vollbart, ging damals weg aus Yorkshire. »God’s Own Country« ist sein Blick zurück auf die alte Heimat, die eigene Herkunft. Und mit dem Blick zurück zugleich ein Blick in eine Zukunft, die nie stattgefunden hat: auf das Leben, das Francis Lee hinter sich ließ, als er nach London ging, um Schauspieler zu werden. Johnny Saxby, das könnte er sein. Wäre er nicht Regisseur geworden. Im Film gibt es am Ende eine Art Generationenvertrag zwischen Vater und Sohn, mit dem beide leben können. Auch kein schlechter Ausgang.