Steudtners Entlassung ist gut - aber kein gutes Zeichen

Die Türkei ist nicht auf dem Weg zurück zu einem Rechtsstaat, meint Nelli Tügel

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 2 Min.

Eine wunderbare Nachricht! Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner darf zurück nach Berlin. Nach einem langen ersten Prozesstag entschied das Gericht, ihn und weitere sieben inhaftierte Aktivisten von Amnesty International auf freien Fuß zu setzen.

Aber: Was sich da am Mittwoch im Istanbuler Justizpalast abspielte, bedeutet leider überhaupt nicht, dass sich die Türkei auf dem Weg zurück zu einem Rechtsstaat befände. Es ist auch kein »erstes Zeichen der Entspannung«, wie Sigmar Gabriel meint. Ehrlich gesagt, im Gegenteil.

Denn erstens sitzen weiter Zehntausende in Haft, denen dieselben bizarren Vorwürfe gemacht werden, wegen derer man auch die »Istanbul10« vor Gericht gezerrt hatte. Darunter: Mesale Tolu, Deniz Yücel, die Vorsitzenden der Oppositionspartei HDP - und seit einer Woche auch Osman Kavala, der bekannteste linke Philanthrop der Türkei, der den Workshop, an dem Steudtner teilnahm, finanziert hatte.

Zweitens steht Taner Kilic, der Vorsitzende von Amnesty in der Türkei, der mit Steudtner angeklagt war, seit Donnerstag in Izmir vor Gericht; er wurde quasi direkt von einem zum nächsten Prozess gekarrt.

Und drittens wurde - wie nun die Bundesregierung bestätigte - die Freilassung im Vorfeld ausgehandelt. So toll das auch ist: Wenn die Entscheidung eines Gerichtes feststeht, bevor es zusammentritt, tja, dann ist das kein Ausweis einer unabhängigen Justiz. Für all jene, die wegen politischer Strafvorwürfe in türkischen Gefängnissen sitzen, eine schlechte Nachricht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal