Metaphern einer gestörten Welt

»Das Treffen«: Neue Arbeiten des Males Volker Stelzmann in der Galerie Poll

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Einsicht in die Vergeblichkeit allen Protests, in die Wirkungslosigkeit von Protestbildern, in die Unabwendbarkeit dessen, was dem Menschen bevorsteht, hat bei ihm nicht zur Resignation geführt, sondern zur Flucht in das kunstgeschichtliche Zitat, zur Einsicht in die ewige Wiederkehr des Unabänderlichen, in dem sich der Mensch schlechthin behaupten muss: Der Berliner Maler Volker Stelzmann hat dafür seine eigene sinnbildliche Form gefunden, wiederum in Anknüpfung an die spätmittelalterliche Bildschöpfung des Triptychons.

»Das Treffen« (Mischtechnik, 2016), dreiteilig, ist das wohl wichtigste Bild aus jüngster Zeit: In einer kubistischen Flächigkeit und Komprimierung ist eine Fülle von Figuren zu sehen, neben-, unter- und übereinander, in dunkle Gewänder, Kapuzen und Tücher gehüllt, einige auch mit Gesichtsmasken (sie wollen nicht erkannt werden). Im linken Bildteil die einen mit erhobenen Schlagstöcken, die anderen die Hand zum Hitler-Gruß erhoben. Fanatisierte, Abwehrende, Beschwörende, stumpfsinnig Dreinblickende, Resi᠆gnierende, Leidende oder wie zufällig in diese Aktion Hineingeratene. Ganz rechts ein Gesicht - einem Totenkopf ähnlich.

Im rechten Teil die Gegendemonstranten, auch hier fehlen die Schlagstöcke nicht, aber in der Gestik und Mimik ist der Hoffnungswille stärker ausgeprägt, das beschwörende Handzeichen, die geballte Faust, das Aufeinanderschlagen der Handflächen als Zeichen des Einverständnisses. Dazwischen die Lichtfigur eines jungen Menschen - birgt sich in ihm vielleicht die Aussicht auf eine Zukunft? Im Mittelbild trennt ein Spezialkommando, das mehr einer in Plattenharnische gesteckten Schar von Rittern als einer Anti-Terror-Einheit gleicht, die Menschenansammlung auf den beiden Bildseiten, während im Hintergrund ein Feuerschein, einen Brand signalisierend, mit einer vermummten Gestalt zu sehen ist.

Doch die Figuren gleichen Statuen, sind weder Mensch noch Plastik, sondern ein Zwischending. Figuren, die Schneiderpuppen oder »Manichini« ähneln, aus Mementos aktueller Situationen (denken wir nur an die Ereignisse während des G20-Treffens in Hamburg) wie kunsthistorischer Verweise (etwa der weisende Zeigefinger Johannes des Täufers aus der »Kreuzigung« vom Isenheimer Altar) zusammengebaut - Symbole des fragmentarischen modernen Ich-Bewusstseins. Es gibt keinen Retter am Kreuz mehr, der dem Betrachter durch die Verheißung ewigen Lebens eine Sicherheit geben könnte. Die Form des Triptychons wird von Stelzmann mit äußerster Ironie verwendet, um die Unmöglichkeit zu demonstrieren, in unserer Zeit noch eine Kreuzigung im Sinne der Tradition zu malen.

»Mann mit Togobecher vor Blechfassade« und »Vorfrühling« (beide 2017) zeigen Flüchtlinge und Obdachlose in menschenunwürdigen Situationen. In »Mann mit Stab und Stillleben« (2017) fischt einer mit einem Stock (diesmal kein Schlagstock) - nach Essbarem suchend - im Müll, der sarkastisch als Stillleben bezeichnet wird. Da sind Figuren, die im Dunklen tappen. »Tunnel« (2014) ohne Ausgang: eine Aneinanderreihung von Figuren, sie schauen wie gebannt in unterschiedliche Richtungen, aber auf ein Ereignis, das sich hier, da oder dort abzuspielen scheint.

Nur ein Gesicht, im Ausschnitt wiedergegeben, ist erhellt, das eine Gewissheit auszustrahlen scheint. »Druckwelle I - III« (2016): entsetzte, gestisch agierende Menschen nach einer Katastrophe, Erschrecken, Erschütterung, Verzweiflung ausdrückend, schwebend, stürzend oder entseelt auf dem Boden liegend.

Seine versatzstückhaft konstruierten, figurenreichen Szenen baut Stelzmann in einen engen Bühnenkasten ein und rückt ihn nah an das Auge des Betrachters. Dadurch ergeben sich divergierende, voneinander unabhängige Blickpunkte auf einzeln zu sehende Bildelemente, welche jedoch durch kreuz und quer laufende lineare Bezüge zu einem übergeordneten Raumkontinuum verbunden werden.

Auch die Stillleben suchen eine verschlüsselte Botschaft, einen gedanklichen Inhalt zu vermitteln. Wie aber erschließen Karnevalsmasken vor der Silhouette der italienischen Stadt Venedig den schwer zu dechiffrierenden Titel »C., V. B., P., A., V.« (2017)? Dagegen mögen der Totenschädel als Verweis auf Vergänglichkeit (Memento mori), das rote Tuch und die grüne Büchse als Objekte des Alltags, als Zeichen der Lebensfreude (»Stillleben mit grüner Büchse«, 2016), der Tod als Harlekinfigur und das Straußenei als Symbol der Unsterblichkeit (»Stillleben mit Straußenei«, 2016) schon eher zu deuten sein.

Ein äußerste Distanz wahrendes Altersbildnis der Künstlers (»Selbstbildnis mit Muschel«, 2015/2017) lässt einen innehalten, wobei hier wohl - der christlichen Symbolik zufolge - die Muschelschale als Bild des Grabes zu verstehen ist, das den Menschen nach dem Tod umschließt. Stelzmann bezieht sich auch immer wieder selbst in sein eigenes Bildgeschehen ein, mal als Obdachloser, mal als gnadenloser Mitakteur, mal als bloßer Beobachter der Szenerie. Der Künstler müsse bezeugen, er müsse die »schwierige Übereinkunft« mit dem Betrachter herstellen, so Stelzmann.

Darin besteht wohl die zwingende, traumatische Eigenschaft der Bilder Stelzmanns: Sie stehen plötzlich vor uns, unvermittelt, scheinbar ohne jede Zweideutigkeit. Es mutet ganz so an, als wären sie »nach dem Leben gemalt«. Und sie lassen uns nicht los. Sie werden immer vieldeutiger und geheimnisvoller, visionärer, von magischer Realität erfüllt. Das Rätsel eines Orakels. Das Ende eines Traums, wo Fantasie wieder Wirklichkeit wird.

»Volker Stelzmann: Das Treffen. Neue Arbeiten« in der Galerie Poll, Gipsstraße 3, Mitte

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