nd-aktuell.de / 31.10.2017 / Politik

Gute Absicht reicht nicht aus

Deutsche Bahn will neue Züge mit Namen von historischen Persönlichkeiten versehen / Anne Frank Haus: Verbindung von Zug und Anne Frank löst Schmerzen aus

Samuela Nickel

Die Deutsche Bahn will ihre neuen ICE nach bedeutenden Persönlichkeiten benennen. Ausgewählt wurden dafür unter anderem Albert Einstein, Hannah Arendt, Karl Marx und Erich Kästner. Einer der ICE-4-Züge soll den Namen von Anne Frank tragen. Dieser Vorschlag löste Diskussionen aus. Der Deutschen Bahn wird vorgrworfen, die Namenswahl sei geschmacklos.

Das Anne Frank Haus in Amsterdam[1] äußerte Bedenken. »Diese Benennung wird kontrovers diskutiert, und das verstehen wir«, heißt es in einer am Montag veröffentlichten Erklärung. »Die Verbindung zwischen Anne Frank und einem Eisenbahnzug weckt Assoziationen mit der Verfolgung und Deportation der Juden in der NS-Zeit. Es ist eine schmerzliche Verbindung für die Menschen, die die Deportationen erlitten haben, und löst erneut Schmerzen bei all jenen aus, deren Leben bis heute von den Folgen der damaligen Zeit geprägt ist«, so die Stiftung.

Man sei sich bewusst, dass Initiativen wie die Benennung des Hochgeschwindigkeitszuges nach Anne Frank in den meisten Fällen auf guter Absicht beruhten. Dennoch sei zu bedenken, dass der Name der von den Nazis ermordeten Jüdin eine große Symbolkraft habe. Er werde wiederholt losgekoppelt von seinem historischen Kontext mit aktuellen Anlässen verknüpft. »Diese Symbolkraft zeigt sich in vielen Bereichen, sei es bei der Benennung von Straßen, Schulen und Parks, jedoch auch in Halloween-Kostümen oder antisemitischen Äußerungen im Fußball[2]«, heißt es weiter.

Das Anne Frank Haus in Amsterdam betrachte es als seine Aufgabe, Anne Franks Geschichte auf historisch gesicherte und authentische Weise wiederzugeben und ermutige alle, sich mit ihrer Geschichte und Bedeutung für das Jahr 2017 auseinanderzusetzen. Das Anne Frank Zentrum in Berlin hat sich dieser Stellungnahme angeschlossen.

Die Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt am Main, die Geburtsstadt des NS-Opfers, äußerte sich ebenfalls skeptisch zu der Benennung des Zuges. »Wir sehen das sehr ambivalent«, sagte Meron Mendel, der Direktor der Einrichtung am Montag der dpa. Sie als Namensgeberin zu verwenden, sei grundsätzlich positiv. Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass Anne Frank wie Millionen andere europäische Juden in Zügen der Reichsbahn deportiert worden sei. Ausgerechnet einen Zug nach Anne Frank zu benennen, sei da »ein gewisser Mangel an Selbstreflexion«, sagte Mendel. »Gerade bei vielen von den Deportationen Betroffenen dürfte das ein ungutes Gefühl auslösen.« Bei der symbolischen Erinnerung an Anne Frank müsse deshalb darüber nachgedacht werden, »was passt und was nicht so sehr passt«.

Bei der Namenssuche für den ICE4 hatte die Deutsche Bahn Kunden aufgefordert Anregungen einzuschicken. Am Freitag hatte das Unternehmen die 25 von einer Jury aus den Vorschlägen ausgewählten Personen bekannt gegeben. Als Namensgeber waren historische Persönlichkeiten aus den Bereichen Kultur, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Sport gesucht. Der Name der historischen Persönlichkeit solle zusammen mit einem Konterfei der jeweiligen Person beidseitig an den Enden des Zuges angebracht werden.

Ziel sei es, »diese Persönlichkeiten zu ehren und die Erinnerung an sie wachzuhalten«, erklärte die Deutsche Bahn am Montagin einer Stellungnahme zu den Vorwürfen[3], die Benennung sei pietätlos. Die Jury, bestehend aus internen und externen Fachleuten, habe die Vorschläge begutachtet. Der Name Anne Franks sei einer der meist eingereichten gewesen.

Das Unternehmen beabsichtige in keiner Weise »das Andenken Anne Franks zu beschädigen«. Die Deutsche Bahn wolle die geäußerten Bedenken ernst nehmen und in internen Diskussionen aufgreifen. Jüdische Organisationen sollen dem Unternehmen dafür ihre beratende Begleitung zugesagt haben. Die Deutsche Bahn sei sich ihrer Verantwortung bewusst und setze sich kritisch mit der Geschichte ihrer Vorläuferorganisationen, der Reichsbahn, auseinander.

Die jüdische Niederländerin Anne Frank lebte mit ihrer Familie von 1942 bis 1944 im Hinterhaus an der Amsterdamer Prinsengracht 263 versteckt vor den Nationalsozialisten. Dort schrieb sie ebenfalls ihr weltbekanntes Tagebuch. Die insgesamt acht in der Prinsengracht untergetauchten Menschen wurden 1944 verraten und in Konzentrationslager deportiert. Anne Frank starb im Frühjahr 1945 im Alter von nur 15 Jahren im KZ Bergen-Belsen. Mit Agenturen

Links:

  1. http://www.annefrank.org/de/Neu/Neu/2017/Oktober/Deutsche-Bahn/
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1068208.lazio-rom-schlimmer-geht-immer.html
  3. http://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/16014662/Nameswahl_ICE4.html