nd-aktuell.de / 01.11.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 20

»Das ist wie im Schlick im Watt«

Vor Langeoog havarierter Frachter macht Einheimischen und Inselurlaubern Sorge

Ralf Isermann, Spiekeroog

Spaziergänger laufen dick eingepackt am Strand entlang, Kinder lassen Drachen steigen. Auf der Insel Spiekeroog herrscht am Dienstag entspannte Feiertagsstimmung. Doch immer wieder schweift der Blick der Urlauber beunruhigt über das Meer. Seit Sonntagabend liegt der havarierte Frachter »Glory Amsterdam« zwischen Langeoog und Spiekeroog auf Grund. Dass sich die Bergung schwierig gestaltet, macht Touristen wie Einheimischen zunehmend Sorge.

»Das ist wie im Schlick im Watt«, sagt Dieter Mader vom Inselmuseum Spiekeroog. »Wenn man da mit dem Gummistiefeln einsinkt, sinkt man immer tiefer ein. Und irgendwann kommt man nicht mehr raus.« Der Museumsleiter hat wenig Hoffnung, dass die Bergung gelingt. »Ich gehe davon aus, dass das Schiff dort liegenbleibt. Nach meinem Gefühl ist es verloren«, sagt Mader. Sollte das Schiff zerbrechen, bevor Diesel und Schweröl abgepumpt sind, »droht eine mittlere Naturkatastrophe«, mahnt er. Vor allem Spiekeroog wäre betroffen - die Flut würde das Schweröl direkt auf die Insel zutreiben.

Auch bei den Gastgebern geht die Angst um. Der Leiter einer Spiekerooger Ferienunterkunft sagt: »Wenn es zu einem Ölaustritt käme, wäre das eine Katastrophe für uns. Ich hoffe, sie bekommen den Frachter so los.« Die Inselgruppe Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge wurde in diesem Jahr bereits von drei großen Herbststürmen erfasst; am Sonntag war auf Wangerooge ein großer Teil des Badestrands weggeschwemmt worden.

Die »Glory Amsterdam« war am Sonntag mit zwei ausgebrachten Ankern manövrierunfähig im Meer getrieben. Wegen des starken Seegangs durch das Sturmtief »Herwart« konnten die Anker nicht gehoben werden, schließlich lief der Frachter auf Grund. 1800 Tonnen Schweröl sind an Bord des Schiffes, das gut zwei Kilometer vor der Inselkette liegt. Die Angst, dass die Bergung des 225 Meter langen Schüttgutfrachter nicht gelingen könnte, treibt auch Umweltschützer um. Das Öl sei »ein erhebliches Risiko für den Nationalpark Wattenmeer«, mahnt der Wattenmeerexperte Hans-Ulrich Rösner von der Organisation WWF.

Das Wattenmeer der Nordsee zählt seit 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe. Es ist eine der letzten ursprünglichen Naturlandschaften Westeuropas, ein Paradies für Zugvögel und Heimat tausender Tier- und Pflanzenarten. Der Wechsel von Ebbe und Flut schafft Lebensräume für Milliarden von Jungfischen, im Frühjahr und Herbst rasten hier mehr als zehn Millionen Zugvögel.

Der WWF bekräftigt angesichts der Havarie seine Forderung nach einem weltweiten Verbot von Schweröl als Treibstoff für Schiffe. »Schweröl ist eigentlich nichts anderes als Sondermüll«, sagt Rösner. »Solche giftigen Reststoffe aus den Raffinerien gehören nicht als Treibstoff aufs Meer.«

Auch am Dienstag kreist ein Hubschrauber über dem Havaristen, zwei Schlepper liegen bei dem Schiff. Ein für Montagabend geplanter Freischleppversuch war kurzfristig wieder abgesagt worden - die Wassertiefe um den Havaristen war »zu gering«, wie das Havariekommando Cuxhaven mitteilte.

Zwischen Langeoog und Spiekeroog gab es früher eine ganze Reihe von Schiffsunglücken, die Schiffe wurden vom Wind auf das Ufer gedrückt. An der Stelle, wo die »Glory Amsterdam« liegt, war 1920 die finnische Bark »Paul« gestrandet. Der Rettungseinsatz für die »Paul« gilt bis heute als einer der kompliziertesten in der Geschichte der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Die war gegründet worden, nachdem 1854 zwischen Langeoog und Spiekeroog die »Johanne« untergegangen war - 77 Menschen starben. Die Glocke der »Johanne« hängt im Spiekerooger Inselmuseum. Einmal im Jahr kommt sie zum Einsatz: Dann erklingt für jedes Schiff, das im abgelaufenen Jahr untergegangen ist, ein Schlag. Dieter Mader hofft, dass er sie nächstes Jahr nicht auch für die »Glory Amsterdam« schlagen muss. AFP/nd