Viel Lärm um Nichts?

Im Kino: «Mathilde» von Aleksey Uchitel

Only bad news are good news«, heißt es im Angelsächsischen. Man kann also davon ausgehen, dass der in Russland seit über einem Jahr heftig diskutierte und zur dortigen Premiere wiederum von Protesten der Orthodoxen begleitete Film darob auch hierzulande auf ein neugieriges Publikum treffen wird. Obwohl den Deutschen der letzte russische Zar und dessen Liebschaft mit einer polnischen Tänzerin eigentlich egal sein dürften. Es gibt Aufregenderes, Schrecklicheres zu debattieren.

Mathilda leitet sich aus den althochdeutschen Worten »maht« für Macht oder mächtig und »hiltja« für Kampf ab. Regisseur Alexej Utschitel (das russische Wort für »Lehrer«) hat mächtig gekämpft für seinen Streifen, ließ sich selbst vom Molotowcocktail, der in seinem Studio landete, nicht abschrecken. Sein deutscher Hauptdarsteller Lars Eidinger zog es hingegen vor, der Uraufführung in St. Petersburg fernzubleiben, da er um Leib und Leben fürchtete. Es ist - Gott lob - nichts passiert. Und die russische Miliz hat inzwischen ein paar chronische Demonstranten arretiert.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Produktionsfirma viel Lärm um (fast) Nichts machte. In regelmäßigen Abständen wurden Meldungen über die strenggläubigen russischen Eiferer in deutschen Medien veröffentlicht, zwischendurch auch mal ein Interview mit Eidinger. Er versicherte stets, sich der von ihm verkörperten Figur »mit größtem Respekt« genähert zu haben. Unübersehbar und unüberhörbar die Entrüstung hierzulande, welche Macht die Kirche in Russland habe, wie prüde oder borniert man sei, sich wegen harmlosen Liebeszenen und einer kurzzeitig entblößten Frauenbrust zu echauffieren, darin gar den Straftatbestand einer »Verletzung religiöser Gefühle« zu erkennen. Es ist kein Geheimnis, dass die Kirche in Russland wieder stark und einflussreich ist, mit der Rückgabe ihrer nach der Oktoberrevolution von 1917 enteigneten Immobilien, Ländereien und von sonstigem Besitz obendrein mächtig reich. Sie ist fast wie in vorrevolutionärer Zeit ein Machtfaktor, ohne und schon gar nicht gegen sie ist Regieren möglich.

Darüber kann man diskutieren. Aber wie aufgeklärt und säkular ist denn Deutschland? Im Reformationsjubiläum wurde gebetsmühlenartig die Rückgewinnung des Glaubens gefordert. Und jeder Bundesbürger, ob Heide, Atheist oder Freidenker, finanziert als Steuerzahler beide Konfessionen mit, ob er will oder nicht. Ebenso den Sold der Militärseelsorger, was für Pazifisten einer Vergewaltigung gleichkommt.

Eidinger bekräftigt in seinem Brief an Utschitel, in der er sein Fernbleiben von der Uraufführung begründete (nachlesbar bei Zeit-Online, »Es bricht mir das Herz ...«), dass »wir zusammen ein großartiges Kunstwerk erschaffen haben« und er sich dero selbst redlich bemüht habe, dem »komplexen Charakter« des Zaren »gerecht zu werden«. Es folgt gar das Geständnis, »ich glaube, ich liebe ihn«. Und das über einen Mann, der Millionen Russen und andere Ethnien in Kerkern und in der Verbannung schmachten oder an den Fronten des Ersten Weltkrieges verrecken ließ. Das wäre ein Aufreger.

Ob der Film ein Kunstwerk ist, können mündige deutsche Kinobesucher nun selbst beurteilen. Die (weltliche) russische Filmkritik bemängelte flache Charaktere und bezweifelt, dass »Mathilde« ein Meisterwerk für die Ewigkeit sei. Indes, warum müssen überhaupt teure monarchistische Schinken gedreht werden?

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