Schutt happens

Zehn Künstler dokumentieren in der Kindl-Brauerei »Ruinen der Gegenwart«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Ausstellungsort selbst ist eine langjähriger Nutzlosigkeit abgerungene Ruine. Wo von 1930 bis 2005 in einem beeindruckenden Bau aus roten Klinkern Bier hergestellt wurde, hat stufenweise ab 2014 zeitgenössische Kunst ihr Heim gefunden. Mit der Dreiheit aus Kesselhaus, Sudhaus, Maschinenhaus besitzt Berlin in der Kindl-Brauerei ein einzigartiges Präsentationszentrum für Kunst, nicht zuletzt dank einem Schweizer Ehepaar, das durch behutsame Sanierung die kulturelle Nutzung ermöglichte. Vom Sudhaus aus, vorbei an sechs gewaltigen Kupferkesseln, heute Blickfang eines Cafés, steigt man in einem Anbau den Flächen des Maschinenhauses entgegen. Durchs Glas sieht man über eine Brache hinweg auf den sich positiv verändernden Stadtteil Neukölln. Ruinen hatte Berlin lange genug.

»Ruinen der Gegenwart« heißt, was man derzeit auf zwei Etagen besichtigen kann. Zehn Künstler aus aller Welt und ungleicher Generation haben das Themenfeld auf ihre Weise kommentiert. Clemens Botho Goldbach empfängt den Gast mit einem Rundbogen aus hellem Porenbeton, bei dem man an das gesprengte Palmyra denkt. Vorbild für diese Ruine wie für alle weiteren Exponate des Raums sind jedoch die stilisierten Darstellungen auf den Euro-Geldscheinen. »EuRuin« nennt Goldbach die Serie, die etwa nach dem 20-Euro-Wert historische Fenster entwirft. Geldscheine bewerten Ruinen, »Schutt happens«, wie ein Text verheißt.

Mit dem Medium Film rückt der Belgier Francis Alÿs den Resten der einstigen, im Grenzgebiet zur Türkei gelegenen, armenischen Hauptstadt Ani zu Leibe. Prächtig wie Byzanz soll sie gewesen sein, ehe Seldschuken sie schleiften. Verlassen in archaisch ödem Bergland liegen weit verstreut Säulenstümpfe, Steine mit Schriftzeichen, Bogenteile, ein Kirchlein. Die grandiose Ästhetik des Zerfalls fasziniert gut 13 Minuten lang.

Mit im 3-D-Druckverfahren erstellten künstlichen Objekten versucht hingegen Moreshin Allahyari aus Iran, Kulturgütern, die von IS-Terroristen zerstört wurden, ein Gedächtnis zu geben; zu sehen ist eine transparente Venus, eine Tonmaske mit ziseliertem Haar.

Dieser düsteren Endzeitvision stellt der Thailänder Manit Sriwanichpoom mit dem steten Motiv eines roten Einkaufswagens den rigorosen Schwund des Alten bei dreister Verdrängung durch Neues in Peking entgegen. Hinter Wellblech entsteht uneinsehbar ein Fantasieschlösschen; im Schutt eines Dorfes kämpft ein Baum ums Überleben; bleich ragt hinter einem zerbröselnden Flachbau eine virtuelle Burg auf. Während Arata Isozakis Siebdrucke des ruinösen Tsukuba Centre unwirklich und daher fast wie Ruinen der Romantik anmuten, ist sein wandgroß gezogenes Foto von Hiroshima, eine Wüste mit nur wenigen Stahlskeletten, ein erschreckendes Klagepanorama von vier Metern Länge. In zwei Zyklen fixiert der 1931 geborene Japaner eindringlich sperrige Stahlgerippe sowie die Folgen von Kaufrausch.

Schräg geworden ist dagegen die Welt nach dem großen Erdbeben von Kobe 1995, wie Ryuji Miyamoto sie in großformatigen Fotos festhält. Auch zwei Fotografinnen dokumentieren den Verfall. Marike Schuurman aus Groningen zeigt anhand von erinnernden Findlingen den Verlust ganzer Dörfer in der Lausitz, die dem Kohleabbau weichen mussten. Die Stuttgarterin Dorothee Albrecht formt aus eindringlichen Serien antiker Monumente der im Zweiten Weltkrieg zerbombten Frankfurter Allee in Berlin oder von Baggern demolierter Landschaft ein ganzes umgehbares »House of Ruins«.

Bis 11.2., Mi-So 12-18 Uhr, KINDL, Maschinenhaus, Am Sudhaus 3, Neukölln, www.kindl-berlin.de

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