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Thüringen verabschiedet Integrationskonzept

Rot-Rot-Grüne Landesregierung will Ausreisepflichtige und Flüchtlinge gleichermaßen integrieren

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 4 Min.

Von allen Politikfeldern, auf denen sich das Rot-Rot-Grüne Bündnis in Thüringen tummelt, ist die Flüchtlingspolitik tatsächlich jenes, bei dem die Koalition am deutlichsten eigene Akzente setzen will - und das mit einem neuen ambitionierten Integrationspapier auch durchaus schafft.

Schon vor drei Jahren hatte die Landesregierung unmittelbar nach ihrem Amtsantritt einen Winterabschiebestopp verhängt und damit bundesweit Aufmerksamkeit erregt. In der kontroversen politischen Diskussionen stand Thüringen mit seiner Entscheidung letztlich ziemlich allein da. Aber wenngleich von der Ausnahmeregelung nur wenige Menschen betroffen waren, wertete die Landesregierung ihren Vorstoß doch als ein wichtiges Zeichen an ihre Wähler: LINKE, SPD und Grüne verschreiben sich einer humanitären Flüchtlingspolitik und wollten beweisen, dass sie daran auch in Regierungsverantwortung festhalten können.

Nun will sich die Landesregierung in Sachen Migration erneut profilieren. In einem Integrationspapier, das das Kabinett jetzt gebilligt hat, wird die bekannte Trennung zwischen Ausreisepflichtigen und anerkannten Flüchtlingen aufgehoben - jene Trennung, auf die FDP und CDU immer pochen.

Bei dem Papier handelt es sich um ein »Thüringer Integrationskonzept«. Darin wird ausgeführt, wie die Regierung Menschen integrieren will, die in den vergangenen Jahren im Freistaat angekommen sind. Auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohnungsmarkt, in Vereinen und Nachbarschaften - Migranten sollen in Thüringen heimisch werden. Das sei eine noch viel größere Herausforderung, als Neuankömmlingen nur einen Platz zum Schlafen und Essen zu besorgen, sagt Thüringens Migrationsminister Dieter Lauinger (Grüne).

Anlass für die Ausarbeitung des Papiers war die Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015. Dass dieses Konzept erst jetzt, zwei Jahre später, vorliegt, könnte von der Opposition als Nachlässigkeit gedeutet werden. Die Regierung sieht es hingegen als Beleg ihrer Gründlichkeit. Denn wie Rot-Rot-Grün betont, hat es vor der Verabschiedung durch das Kabinett unzählige Gespräche mit allen Beteiligten gegeben. Einen ebenso langen wie langwierigen Diskussionsprozess also, was inzwischen als Markenzeichen der Koalitionspolitik gilt.

Vor allem wird die Handschrift der Regierung im Thüringer Integrationskonzept erkennbar, weil das Papier nach Angaben von Migrationsminister Lauinger und der Integrationsbeauftragten Mirjam Kruppa von einem Leitgedanken getragen wird: Es soll bei allem, was für das Ankommen von Flüchtlingen in Thüringen getan wird, keine Unterscheidung mehr geben zwischen Menschen, die - wie das im Bürokratendeutsch heißt - eine Bleibeperspektive haben, und solchen, denen demnächst wohl gesagt werden wird, dass sie in ihre Heimatländer zurückkehren müssen. Egal also, ob bei Sprachkursen oder Praktika für Jobs: Ob ein Flüchtling aus Syrien oder vom Westbalkan kommt, soll keine Auswirkungen darauf haben, ob er einen Platz in einem Kurs oder Seminar erhält. Flüchtlinge aus Syrien haben noch immer gute Chancen, zumindest vorläufig in Deutschland zu bleiben. Hingegen wird Menschen vom Westbalkan meist schnell mitgeteilt, dass ihr Asylantrag abgelehnt worden ist.

Wie sich der Vorsatz in der Praxis umsetzen lässt, muss sich freilich noch zeigen. Bislang ziehen Flüchtlinge aus Thüringen häufig in die Ballungszentren weiter. In Thüringen fehlen vielerorts Kita- und Schulplätze für Flüchtlingskinder, außerdem Praktikumsplätze und Sprachkurse für Nicht-Deutsche. Weshalb zum Beispiel die Flüchtlingspolitikerinnen von Linkspartei und Grünen, Sabine Berninger und Astrid Rothe-Beinlich, unisono betonen, das Konzept sei im Grundsatz ein »Meilenstein«. An vielen Stellen wird konkret vorgegeben, wie viel Geld aus dem Landeshaushalt für Bildung, Sprache und Jobs ausgegeben werden soll. Nach Angaben des Migrationsministeriums stehen allein in dessen Haushalt in den nächsten beiden Jahren 20 Millionen Euro für Integrationsmaßnahmen zur Verfügung. In den Etats anderer Ressorts seien weitere Ausgaben geplant. Trotzdem, sagen Berninger und Rothe-Beinlich, müsse das Konzept nun auch gelebt werden.

Das dürfte umso schwieriger werden, weil die politische Diskussion um das Papier und die Rot-Rot-Grüne Handschrift heftig sind. Aus der CDU beispielsweise heißt es, das Konzept sei völlig falsch. »Indem die Landesregierung den Status von Flüchtlingen und ihre Bleibeperspektive bei der Vergabe von Integrationsangeboten vollständig ignoriert, untergräbt sie das Asylrecht und schafft zusätzliche Anreize für illegale Zuwanderung«, sagt der CDU-Flüchtlingspolitiker Christian Herrgott. »Die Öffnung dieser Angebote auch für illegal Eingereiste macht diesen nicht nur falsche Hoffnungen, sie geht auch zulasten derjenigen, die unter dem Schutz unseres Asylrechts zu uns kommen und bleiben dürfen.«

Weil es solche Überzeugungen auch unter Kommunalpolitikern gibt, die das Integrationskonzept maßgeblich umsetzen müssen, wird es alles andere als einfach, das Konzept zu verwirklichen.

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