nd-aktuell.de / 10.11.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 2

Das Anti-Glyphosat-Dorf

»Das Wunder von Mals« beschreibt den Kampf gegen das Totalherbizid am Rande von Europas größtem Anbaugebiet für Äpfel

Eric Breitinger

Der 5000-Seelen-Ort Mals in Südtirol liegt am Rande des größten europäischen Apfelanbaugebietes: Jeder zehnte in der EU geerntete Apfel reift hier in großflächigen Monokulturen heran. Doch die intensive Obstproduktion hat ihren Preis: Im Sommer ziehen die Pestizidwolken der Plantagen durch die Region. 90 Prozent der in Mals geernteten Früchte enthalten Pestizid-Rückstände - egal, ob sie aus biologischem oder konventionellem Anbau stammen. Das zeigen Proben. Überhaupt sind Spritzmittel in der italienischen Landwirtschaft allgegenwärtig: Laut dem Nationalen Pestizid-Report sind 56,9 Prozent des Oberflächenwassers und 31 Prozent des Grundwassers Italiens mit Pestiziden kontaminiert.

Doch in Mals regte sich Widerstand: Im September 2014 stimmten drei Viertel der Stimmberechtigten dafür, Mals zur ersten pestizidfreien Gemeinde Europas zu erklären. Seit März 2016 sind Glyphosat und Co. in dem Ort im Südtiroler Vinschgau verboten. Die Südtiroler Regierung verweigert dem Entscheid allerdings bis heute die Anerkennung.

Der Wiener Autor und Filmemacher Alexander Schiebel hat die vergangenen Jahre der Auseinandersetzung um die Umweltsünden der intensiven Landwirtschaft im Oberen Vinschgau hautnah erlebt. Er wohnt inzwischen in Mals, dokumentiert das Aufbegehren einer Handvoll charismatischer Pestizid-Rebellen - vom Bürgermeister, über Biolandwirte und Natur-Frisörin bis hin zum Apotheker.

Schiebel porträtiert die Protagonisten und schildert - oft aus seiner subjektiven Warte - die Chronologie der Ereignisse rund um den »Malser Weg«. Er interviewt in Zürich den Schweizer Pionier den ökologischen Schädlingsbekämpfung Hans Rudolf Herren. Und er berichtet, wie das Südtiroler Establishment aus »konventionellen« Obstbauern, Landesregierung und Agrarindustrie die Öko-Abweichler auszugrenzen, zu maßregeln und zu diffamieren versucht. Schiebel selbst verliert seine PR-Aufträge für das Land Südtirol. Der Kräuter-Bauer Urban Gluderer, der immer wieder öffentlich kritisiert, dass seine Nachbarn Gift auf seine Felder spritzen, wird von Nachbarn und Bekannten als »Nestbeschmutzer« geschnitten. Zudem verklagte SVP-Landesrat und Südtirols Agrarminister Arnold Schuler Autor und Verlag wegen »übler Nachrede«. Zuletzt berichteten Medien gar von Anschlägen mit Glyphosat auf Bio-Apfelplantagen.

Autor Schiebel erklärt sich die heftigen Reaktionen damit, dass die deutschsprachigen Südtiroler seit Ende des Zweiten Weltkrieges gewohnt sind, die eigenen Reihen geschlossen zu halten: »Kritik ist in Südtirol zwar erlaubt. Wer zu oft kritisiert, der wird ausgeschlossen.« Somit ist der Protest gegen das Ackergift für Schiebel auch ein Akt der Zivilcourage gegen das in Südtirol weit verbreitete Duckmäusertum und obrigkeitliche Denken.

Lebendig erzählt, hätte man dem Buch an manchen Stellen etwas mehr Stringenz und seinem Autor mehr kritische Distanz gewünscht - so ist Schiebel als Ich-Erzähler immer dabei, kommentiert und macht sich so selbst zum Protagonisten. Doch nicht zuletzt dokumentiert er Erfahrungen, wie sich auch andernorts der Widerstand gegen die rein profitorientierte, krankmachende Agrarindustrie auf die Beine stellen lässt.

Alexander Schiebel: Das Wunder von Mals. Wie ein Dorf der Agrarindustrie die Stirn bietet. Oekom-Verlag, 19 Euro.