Verschmutzung zum Nulltarif

EU will Handel mit Zertifikaten für CO2-Emissionen reformieren - Umweltschützer bezweifeln Wirksamkeit

Nach monatelangen Verhandlungen in der EU ist eine Reform des europäischen Emissionshandels unter Dach und Fach. Wie Estland, das den EU-Vorsitz innehat, am Donnerstag in Brüssel mitteilte, sei in den Trilogverhandlungen von Unterhändlern von EU-Kommission, Parlament und Ministerrat ein Kompromiss erreicht worden, der jetzt noch von den EU-Staaten gebilligt werden müsse. »Der Emissionshandel muss reformiert werden, um zu wirken«, hieß es in der Erklärung. »Wir glauben, dass unsere vorläufige Einigung das garantiert.«

Das 2005 gestartete Europäische Emissionshandelssystem ist das bislang einzige verbindliche Klimaschutzinstrument der EU. Es verpflichtet die Betreiber von insgesamt rund 11 000 Industrieanlagen, vor allem von Kraftwerken, für ihre gesamten CO2-Ausstoßmengen Zertifikate zu erwerben. Da die Gesamtmenge der von den Staaten ausgegebenen Emissionsrechte über die Jahre abgesenkt wird, soll dies den Treibhausgasausstoß der EU reduzieren. Da allerdings seit Jahren viel zu viele Papiere im Umlauf sind, ist deren Preis extrem niedrig - es gibt für die Unternehmen keinen Anreiz, den eigenen CO2-Ausstoß zu senken.

Nach kleineren Sofortmaßnahmen kommt nun auch eine längerfristige Reform. Laut dem Kompromiss soll die Menge der neu ausgegebenen Emissionsrechte zwischen 2021 und 2030 jährlich um 2,2 Prozent und damit stärker als bisher sinken. Ziel ist es, dass die Industrie in Europa bis 2030 mindestens 43 Prozent weniger Kohlendioxid und andere Klimagase ausstößt als 2005. Gleichzeitig werden einige alte Verschmutzungsrechte vom Markt genommen, um das Angebot zu verknappen. Laut dem CDU-Europaabgeordneten Peter Liese sollen bis zu zwei Milliarden Zertifikate in einer Reserve geparkt oder gelöscht werden. Dadurch könnte der Preis je Tonne Kohlendioxid von heute etwa 5 auf 25 Euro steigen.

Die Umweltverbände halten die Kürzungen bei der Menge an Verschmutzungsrechten für viel zu gering. Vor allem erzürnt sie, dass die neuen Zertifikaten weiterhin kostenlos an Stahlunternehmen und Zementhersteller verteilt statt, wie früher angedacht, versteigert werden sollen. »Energieintensive Branchen werden bis 2030 rund 6,5 Milliarden Verschmutzungsrechte gratis bekommen«, moniert etwa die Umweltstiftung WWF. »Damit verzichten die EU-Staaten auf mehr als 160 Milliarden Euro an Auktionserlösen für Emissionsrechte.«

Von einer »lange überfälligen Reform« sprach der LINKE-Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin. Allerdings müssten die herausgenommenen Zertifikate tatsächlich gelöscht werden. Außerdem brauche es einen Zertifikate-Mindestpreis, sonst bleibe das Emissionshandelssystem ein »zahnloser Tiger«.

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