»Moria ist nicht für den Winter geeignet«

Barbara Lochbihler, Vizepräsidentin des Menschenrechtsausschusses im EU-Parlament, im Gespräch über die Lage auf der griechischen Insel Lesbos

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 5 Min.
Pro Asyl hat davor gewarnt, dass tausende Flüchtlinge in den griechischen Hotspots dem Wintereinbruch schutzlos ausgeliefert sind. Sie waren gerade vor Ort: Können Sie diese Einschätzung bestätigen?

Ich war in dem Lager Moria auf Lesbos, habe dort mit dem Direktor gesprochen und auch mit dem griechischen Migrationsminister Ioannis Mouzalas. Ich habe mit NGOs geredet und ja, der Hotspot Moria ist nicht für den Winter geeignet, weil er total überfüllt ist. Vorgestern, als ich dort war, lebten dort mehr als 6500 Personen. Das Lager ist für circa 2000 Menschen angelegt; über 1500 haben nur Sommerzelte. Der Direktor sagt, dass am Tag ungefähr 200 Neuzugänge kommen. Ich habe mit einer Ärztin geredet, die berichtete, dass von den Neuzugängen fast 40 Prozent Kinder sind. Mitarbeiter der NGOs sind reihum erschöpft und vergleichen die Situation teilweise mit Lagern in Kriegsgebieten: Völlig verdreckt, zu wenig Duschen und Toiletten, es wurden teilweise für die Nacht Windeln an Frauen ausgegeben, weil unter dem Druck die Stimmung sehr aggressiv ist.

Zur Person

Barbara Lochbihler ist Mitglied des Europäischen Parlaments und gehört der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz an. Sie ist Vizepräsidentin des Menschrechtsausschusses und hat vom vergangenen Donnerstag bis Sonntag Athen und Lesbos besucht. Mit ihr sprach für »nd« Nelli Tügel.

Foto: dpa/Karlheinz Schindler

Können Sie sagen, wie viele Flüchtlinge sich insgesamt auf den Inseln befinden?
Nach den letzten Zahlen der Regierung sind es rund 15.000.

Sie sagen, es gibt viele Neuzugänge auf Lesbos. Nun gibt ja jetzt seit einiger Zeit das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU. Kommen dennoch Flüchtlinge aus der Türkei an?
Ja - zur Zeit gibt es 200 bis 300 Neuankömmlinge auf Lesbos. Es ist anzunehmen, dass sie aus der Türkei kommen.

Sie haben sich auch mit dem Migrationsminister der griechischen Regierung getroffen. Würden Sie sagen, dass da schwere Versäumnisse seitens der griechischen Regierung vorliegen, oder wer trägt eigentlich die Verantwortung für diese desolate Situation?
Ich spreche jetzt nur über die Situation in dem Lager Moria: Diesbezüglich sagte mir der Minister, sie hätten sehr wohl für den Winter geplant. Aber der Zeitdruck und die seit Herbst steigende Zahl der Neuzugänge habe es ihnen erschwert, rechtzeitig zu reagieren. Da denke ich schon, man hätte mit einer besseren Administration mehr machen können. Winter ist schließlich jedes Jahr. Wichtig ist aber auch zu fragen: Warum sind viele so lange in diesen Lagern? Eingerichtet sind die dafür, dass man vielleicht einige Wochen bleibt. Alleinreisende Männer aber leben, laut dem Direktor von Moria, teilweise bis zu 18 Monaten dort.

Warum geht es nicht schneller?
Das scheint sowohl von europäischer wie von griechischer Seite nicht unbedingt gewollt zu sein.

Wie meinen Sie das?
Die Haltung ist wohl: Wenn es den Menschen in den Lagern zu gut geht, dann würde das ein Anreiz sein, dass weitere kommen.

Das heißt, es ist auch ein Stück weit kalkuliert, dass die Zustände desolat sind, um andere Flüchtlinge abzuschrecken?
Ich würde nicht sagen, dass kalkuliert wird, dass jemand an Kälte stirbt. Das nicht. Aber eine gewisse Abschreckung soll es geben, das hat der EU-Kommissar Frans Timmermanns selbst gesagt in einem Interview, das er der Zeitung »Kathimerini« gegeben hat. Auf Lesbos war ich aber auch in einem Lager, das von der Gemeinde geführt wird, das ist für 1000 Menschen angelegt, die Kinder haben oder krank sind. Das wird sehr gut geführt.

Das heißt, dass es besser ginge?
Ja, natürlich ginge es besser.

Wie gehen denn die Inselbewohner mit der Situation um?
Ich kann mich jetzt nur auf Lesbos beziehen. Die Infrastruktur auf der Insel, zum Beispiel Krankenversorgung, ist längst an der Kapazitätsgrenze. Da sollte man die Infrastruktur verbessern, davon hätten sowohl die lokalen Einwohner als auch die Flüchtlinge etwas.

In Einzelfällen gibt es Streit - wie überall - und es werden Fragen gestellt: Wie wird sich das auf das Image unserer Insel auswirken? Das ist hörbar. Gleichzeitig ist auch hörbar, von Hotelbesitzern zum Beispiel, dass es noch nie so eine gute Auslastung über das ganze Jahr hinweg gab, weil die Leute von Frontex, vom Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO), von den NGOs und viele Journalisten kommen. Zusammenfassend würde ich sagen: Es gibt ein verbreitetes Gefühl, alleingelassen zu werden.

Sie haben auch Menschen besucht, die in Athen für einen rascheren Familiennachzug mit in Deutschland lebenden Flüchtlingen protestieren. Wenn Deutschland hier schneller handeln würde, würde das die Situation dann auf den Inseln verbessern?
Der Stand vor ein paar Wochen war, dass viereinhalbtausend Menschen nach dem Dublin III-Verfahren - darunter 3000 Kinder, meistens aus Syrien, aber auch Afghanistan und dem Irak - das Recht haben, zu ihrer Kernfamilie nach Deutschland zu kommen. Die deutschen Behörden arbeiten aber langsam, so dass das Verwaltungsgericht in Wiesbaden kürzlich noch mal entschieden hat, dass das BAMF eine First von sechs Monaten unbedingt einhalten muss. Es kursiert ein Brief des griechischen Ministers an den deutschen Innenminister, mit der Zusage, auf deutschen Wunsch hin die Überstellungen auf 70 Personen im Monat zu begrenzen. Das hat das deutsche Innenministerium gleich dementiert und gesagt, es gebe keine Absprachen. Aber die Fakten zeigen, der Nachzug hat sich enorm verlangsamt. Das Urteil des Gerichts aus Wiesbaden hat das ja noch mal untermauert.

Was muss denn Ihrer Ansicht nach geschehen, damit sich die Situation, beispielsweise in dem Lager auf Lesbos, das Sie besucht haben, schnell aber auch nachhaltig verbessert?
Es ist absolut notwendig, für jeden, der dort ankommt, eine gemauerte Unterkunft zu finden, sei es in Lesbos oder auf dem Festland. Und die räumliche Beschränkung auf die Inseln müsste aufgegeben werden. Jetzt ist es so: Die Flüchtlinge können nicht zur Entlastung der Inseln auf dem Festland untergebracht werden. So entstehen riesige Lager. Die Beschränkung auf die Inseln will die Europäische Kommission beibehalten, das hat Timmermanns in besagtem Interview sehr deutlich gesagt.

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