Der Arbeitskreis hat Signalwirkung

Neues Gremium soll Strategien gegen Antisemitismus diskutieren und Initiativen vernetzen

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 4 Min.

Anfang November kam der neu gegründete Berliner Arbeitskreis gegen Antisemitismus unter dem Vorsitz von Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) zu seinem ersten Treffen zusammen. Wie kam es dazu und was sind die Ziele?
Es gab unsägliche antisemitische Vorkommnisse in Berlin, die ein entschlossenes Handeln erfordern. Der Fall an einer Gesamtschule in Friedenau, an der ein jüdischer Schüler über Monate hinweg antisemitisch gemobbt wurde, hat auf sehr tragische Weise gezeigt, dass Antisemitismus ein Problem an Schulen ist, dem eine größere Beachtung zu Teil werden sollte. Erschreckend kommt auch noch hinzu, dass Juden in manchen Bezirken in Berlin ihr »Jüdischsein« ganz verbergen müssen. Dies sind nur einige jüngere Beispiele, die Staatssekretärin Chebli zum Anlass nahm, den Arbeitskreis ins Leben zu rufen. In dem Gremium soll diskutiert werden, inwiefern effektivere Strukturen geschaffen werden müssen, die eine ganzheitliche Bekämpfung von Antisemitismus möglich machen. Hierbei wollen wir die Zivilgesellschaft stärker in den Fokus rücken. Die drei B’s sind dabei handlungsleitend: Bildung, Beratung und Begegnung.

Der Arbeitskreis besteht aus Experten aus der Wissenschaft, Vertretern der Jüdischen Gemeinde und Initiativen. Mit dem Gremium hat der Senat den Kampf gegen den Antisemitismus zur Chefsache erklärt. Wieso hat das so lange gedauert?
Das ist eine berechtigte Frage. In der Vergangenheit wurde eindeutig zu wenig getan. Doch wir haben in Berlin auch viele Initiativen und Programme, die sich seit Jahren engagiert gegen Antisemitismus und andere Formen von Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung einsetzen. Wir stehen hier nicht bei null. Wir sollten nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern viel mehr in die Zukunft. Ich bin mir sicher, dass der Arbeitskreis eine starke Signalwirkung an die Berliner Bevölkerung haben wird. Chebli bringt eine Menge neuen Wind mit.

Aus der Jüdischen Gemeinde ist immer wieder der Vorwurf zu hören, dass die Perspektive der von Antisemitismus Betroffenen zu wenig beachtet wird. Insbesondere wenn es um antisemitische Übergriffe an Schulen geht. Was will der Arbeitskreis dagegen tun?
Der Arbeitskreis strebt eine engere Zusammenarbeit zwischen Schulen und außerschulischen Organisationen an. In der Tat war es in der Vergangenheit oftmals so, dass antisemitische Vorfälle an den Schulen zu selten thematisiert worden sind. Ist das nicht der Fall, wird auch nicht mit den Betroffenen gesprochen. Das ist ein Missstand, den wir im Arbeitskreis diskutieren werden. Wenn es zu einem antisemitisch motivierten Übergriff in der Schule kommt, muss dieser erfasst werden und schnell und gründlich aufgearbeitet werden. Die Lehrer müssen dazu befähigt werden, die möglichen Spielarten des Antisemitismus zu erkennen. Hier sollten auch vermehrt jüdische Organisationen mit eingebunden werden.

Bleiben wir beim Thema Schule. Ihre Initiative, die KigA, entwickelt pädagogische Konzepte und Projekte für Jugendliche. Wie kann man dem grassierenden Judenhass im Klassenzimmer begegnen?
Indem man ihm begegnet und nicht ausweicht! Das ist ganz wichtig. Wenn wir den Antisemitismus an der Schule ernsthaft angehen wollen, müssen wir möglichst viele mit ins Boot holen: Schüler, Lehrer, Schulleitungen, Eltern und Sozialarbeiter. »Du Jude« als Schimpfwort fällt hier besonders auf. Man sollte den jeweiligen Schüler mit seiner Aussage konfrontieren und die Tragweite seiner Äußerung verdeutlichen. Keineswegs sollte man solche Vorfälle ignorieren. Auch sollte man nicht dazu verleitet werden, Vorkommnisse dieser Art als Herkunftsspezifika zu werten, und diese als gegeben anzunehmen.

Wenn es um antisemitisches Mobbing an Berliner Schulen geht, fallen immer wieder Schüler arabischer und türkischer Herkunft besonders auf. Sind muslimische Jugendliche antisemitischer als andere?
Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Fragen und Aussagen dieser Art sollten mit Vorsicht geäußert werden, da hierdurch eine gesamte Bevölkerungsgruppe stigmatisiert wird. Ja, es gibt auch unter Muslimen Antisemitismus. Das muss thematisiert werden, jedoch auf eine zielführende Art und Weise.

Wie kann es in Zukunft gelingen, dass sich mehr Berlinerinnen und Berliner gegen Antisemitismus in der Bundeshauptstadt engagieren?
Indem man alle Berliner anspricht. Wir müssen möglichst viele Menschen erreichen und in diese Verantwortung mit einbeziehen. Dies funktioniert nicht, wenn Antisemitismus ausschließlich als Problem der »Anderen« betrachtet wird. Antisemitismus muss als gesamtgesellschaftliches Phänomen gesehen und auch als solches bekämpft werden. Das wollen wir als Arbeitskreis deutlich machen. Chebli möchte dieses »Nullsummenspiel« beenden. Hass, Intoleranz und Diskriminierung haben in Berlin keinen Platz. So auch Antisemitismus nicht!

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