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»Sie delirieren ja!«

Sabrina Janesch schickt ihre Leserschaft auf die Suche nach dem sagenumwobenen El Dorado

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Buch ist schon mehr als zur Hälfte gelesen, da brüllt der Protagonist mitten im strömenden Starkregen nacheinander in mehreren Sprachen in den sichtversperrenden Dunst hinein: »Wo bist du?« Eine Antwort kann er nicht erhalten, zumal seine Sehnsucht nicht etwa einem Menschen gilt, sondern einem Ort. Es sind die 1870er Jahre, und Augusto R. Berns sucht El Dorado, die als verschollen geltende Goldstadt der Inka. Lange schon reist er durch den Dschungel, sein Ziel aber schien noch nie so fern wie jetzt.

• Sabrina Janesch: Die goldene Stadt. Roman.
Rowohlt Berlin, 528 S., geb., 22,95 €.

Dem Leser ist da bereits bewusst, dass die Mission des deutschen Auswanderers erfolgreich enden wird. Der Klappentext verrät: »Erst seit Kurzem weiß man, dass das sagenumwobene Machu Picchu in Peru von einem Deutschen entdeckt wurde.« Um Spannung im klassischen Sinne geht es Sabrina Janesch in ihrem Roman »Die goldene Stadt« aber auch gar nicht. Im Oktober 2012 las sie in einer überregionalen Tageszeitung einen Artikel, der einen gewissen Rudolph August Berns aus Uerdingen im Rheinland als denjenigen ausmacht, der als Erster wieder in Machu Picchu ankam, nachdem die im 15. Jahrhundert erbaute Ruinenstadt verschwunden war.

Bis dahin hatte die Forschung angenommen, der Ort sei erst 1911 durch den US-Amerikaner Hiram Bingham III gefunden worden. Dann aber tauchte im Archiv der Nationalbibliothek der peruanischen Hauptstadt Lima eine Kiste mit Briefen, Karten und Broschüren aus dem 19. Jahrhundert auf, die zweifelsfrei belegen, dass Berns 35 Jahre vor Bingham in Machu Picchu war.

Die Biographie des 1842 geborenen Berns war bislang kaum bekannt. Seine Spur verliert sich im Jahr 1888 - just in jenem Moment, da einer der größten Betrugsskandale der peruanischen Geschichte publik wurde. Janesch, die häufig in Lateinamerika unterwegs ist, ließ diese unglaubliche Story nicht mehr los. Sie begab sich persönlich auf die Spuren von Berns, reiste seiner Route hinterher, recherchierte historische Fakten. Um ihn spüren, begreifen und verstehen zu können, dafür hat die 32-Jährige die Romanfigur Augusto R. Berns erfunden.

Ihren Berns schickt sie als Kind an den Rhein zum Goldwaschen, sie lässt ihn am Französischen Gymnasium leiden, sie schickt ihn mit seiner Weinhändlerfamilie nach Berlin - und sie schenkt ihm eine Lektüresucht, die ihn zum Abenteurer machen wird. Kollege Zufall und ein schneller Gedankengang des ausgebufften Teenagers wollen es, dass Berns noch vor seinem 20. Geburtstag keinem Geringeren als Alexander von Humboldt in dessen Residenz in der Oranienburger Straße in Berlin gegenübersteht.

Der große Naturforscher schrieb immer wieder über El Dorado. Das Zusammentreffen verläuft dann aber ganz anders, als Berns es sich so lange erträumt hatte: Humboldt beraubt den jungen Mann aller Illusionen. »Die goldene Stadt? Sie delirieren ja!«, schleudert er dem enthusiastischen Berns entgegen. »Wissen Sie was?«, gibt er ihm zum Abschied einen großväterlichen Rat mit, »jetzt gehen Sie nach Hause, machen brav Ihr Abitur, studieren hernach ein wenig und lassen sich zum Ingenieur ausbilden, und dann, junger Mann, dann lösen Sie ein Billett nach Südamerika und graben einen Kanal durch Panama!«

Genau so trägt es sich anschließend zu. Berns heuert als Matrose an und geht in Peru komplett mittellos an Land. Mit ebenso viel Glück wie Verstand steigt er zum Offizier der spanischen Fremdenlegion auf und gilt bald als Held. Der Staatspräsident ermöglicht ihm eine Ausbildung zum Ingenieur, und irgendwann arbeitet er am Culebra-Durchbruch. Die Flausen von der Goldstadt schwirren Berns weiter in der Birne herum.

Janesch erzählt den Lebensweg dieses Mannes als feinfühlig formulierte Charakterstudie. Sie verzichtet auf eine ambitionierte Sprache und imitiert auch nicht einen zeittypischen Duktus. Dieser trockene Stil macht es streckenweise anstrengend, dem hadernden, dann hoffnungsvollen und bald doch verzweifelten, bei all dem aber jedes Mal neu sich berappelnden Berns zu folgen. Die Entscheidung für einen sprachlichen Purismus ist in diesem Fall dennoch richtig. Münden doch oft genug solcherart von der Vergangenheit zehrende Stoffe in gestelzte, affektierte und peinliche Machwerke.

Janeschs Buch gehört auch aus anderen Gründen nicht in diese Schundschublade. Bei ihr findet die Geschichte keinen versöhnlichen Abschluss, nachdem Berns auf der Innenseite eines prächtigen Turms in Machu Picchu mit einem Stück Kreide diese Inschrift hinterlassen hat: »Entdeckt von A. R. Berns, 1876.« Nein, der beste Teil des Lebenslaufs kommt erst noch. Mit seinem Kompagnon Singer zieht Berns in die USA und gründet die Torontoy Estate Company, mit deren Hilfe er die Ruine erschließen will. Der Krieg zwischen Chile und der Peru-Bolivien-Allianz kommt dazwischen, und Berns kann erst nach mehreren Jahren wieder nach Peru reisen.

Wie die Autorin in diesen Passagen die Unruhe, die Erregung, auch die Gaunereien ihrer Hauptperson sympathisierend nachzeichnet, das bereitet besonders großes Lesevergnügen, bis hin zum Showdown - oder besser: bis hin zu den beiden Showdowns. Denn nach Berns’ aktive Beteiligung am erwähnten Betrugsfall kommt es bei einem mehr als zwei Jahrzehnte später spielenden Epilog in den Bergen zu einer wundersamen Begegnung.

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