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Wer bin ich für die anderen?

James M. Barrie war nicht nur der Autor von »Peter Pan«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

»Einem Hut nachlaufen«, wenn der Wind ihn erfasst: Man rennt hinterher, und der Hut macht sich davon, sobald man ihn zu greifen hofft. Lächerliches Schauspiel. Also zwinge dich lieber, Ruhe zu bewahren - lächle, während du dem Hut seelenruhig folgst, und nimm es hin, wenn er zerstört oder verloren ist.

• James M. Barrie: Wie meine Mutter ihr sanftes Gesicht bekam. Erzählungen.
Hg., übers. u. m. e. Nachw. v. Michael Klein. Morio Verlag, 189 S., geb., 19,95 €.

Ein überflüssiger Rat, will es scheinen: Welcher »Herr« trägt heute noch Hut? Indes fallen einem genügend andere Situationen ein, in denen es schwierig ist, Gesicht zu wahren. Wie werde ich von meiner Umwelt gesehen? Wer bin ich für die anderen? Solche, auch heute durchaus zeitgemäße, Fragen müssen den Autor dieser Texte so sehr umgetrieben haben, dass er sie lieber nicht direkt ansprach, sondern hinter einem feinen Humor versteckte.

James Matthew Barrie: Er lebte von 1860 bis 1937. Von ihm kennt man »Peter Pan« und kaum mehr. Dass Michael Klein aus dem Werk des Schotten nun 15 Erzählungen auswählte und sie zum großen Teil erstmals übersetzte, ihnen Kommentare beifügte und ein Nachwort, verdient freudige Würdigung.

Die meisten dieser Texte sind einst in Zeitungen und Magazinen erschienen, die in einer Zeit ohne Film, Fernsehen, Hörfunk oder gar Internet ausgiebiger als heute Literatur zur Unterhaltung ihrer Leserschaft druckten, was für Schriftsteller eine wichtige Einnahmequelle war. Barrie, aus einer schottischen Arbeiterfamilie stammend, verhüllt nicht diesen Zweck des Schreibens: Broterwerb. Da werden drei Freunde zu Feinden, weil jeder von ihnen nach einem gemeinsamen Ausflug einen lustigen Artikel darüber an eine Zeitung zu verkaufen hofft (»Das Ergebnis einer Wanderung in Surrey«). Ein »Biograph in Wartestellung« belauert den Mann, über den er geschrieben hat. Nein, der zeigt keine Krankheitszeichen, wirkt wie das blühende Leben. Wenn er das Buch über ihn erst nach seinem Tod veröffentlichen darf, wie lange soll er noch warten?

Wie die Leute in diesen Texten zu kämpfen haben! Erschütternd das Schicksal des armen Webers aus »Cree Queery und Mysy Dolly«. Aber der Schriftsteller aus »Lieb mich ewig - oder lass es ganz« hat auch seine Probleme. Jeden Tag lungert er vor dem Laden herum, wo sein neues Buch ausgestellt ist. Schaut jemand hinein, kauft es gar? Aber ach … »Ein kranker Logiergast« darf sich der (eigentlich lästigen) Aufmerksamkeit seiner Wirtin und des Dienstmädchens erfreuen, solange er ihnen als todgeweiht gilt. Als er sich aufrappelt, wird er wieder zum Niemand für sie. »Der lustige kleine Jim« hat seiner eigenen Schauspielkarriere entsagt, um allabendlich demonstrativ seiner Frau auf der Bühne zuzujubeln und ihren Ruhm zu mehren. Wie lieb von ihm und wie traurig ist das.

Michael Klein schreibt in seinem Nachwort, dass J. M. Barrie kleinwüchsig war (gerade mal 1,50 groß), linkisch und schüchtern im Umgang mit Frauen, die er für sich auf ein Podest hob, wenn sie grazil und schön waren. So hat die Erzählung »Wie Tommy Sandys zum Schriftsteller wurde« durchaus einen ernsten autobiographischen Hintergrund. Doch wie amüsant ist sie geschrieben, als ob das Ganze bloß ein Spaß wäre.

Nur wer aufmerksam liest, merkt die Selbstironie, das Hintergründige bei der Beleuchtung einer Zeit, als schon vieles ins Wanken geraten war. Regierungen wechseln, und ein Stubenmädchen erweist sich als gebildeter als die Herrschaft (»Unsere neue Bedienstete«). Man weiß nicht, ob von einem mehr bleibt als »Ein Fetzen Papier«. Und selbst »Wie man einen Faltplan schließt«, erweist sich als Schwierigkeit wegen der Tücke des Objekts. Ach, wäre man doch so stark und lebensfroh wie Peter Pan in Nimmerland!

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