Stadt, Land, Fluss

  • Lesedauer: 3 Min.
»Und wenn die Flasche leer ist, einfach offen stehenlassen, damit sie nicht anfängt zu stinken«, erklärt die Verkäuferin hinterm Tresen des kleinen Hofladens. Während sie einen Liter Milch in die Glasflasche vor ihr zapft, warten die Kinder der Kundinnen und Kunden ungeduldig darauf, endlich probieren zu können - stammt die Milch doch direkt aus der Kuh und nicht wie sonst aus der Fabrik. Früher gab es für die Kleinen noch ein Glas frisch gemolkene Milch als Kostprobe, heute ist das jedoch verboten, da sie vor dem Trinken abgekocht werden soll. Stattdessen gibt es für die besonders Ungeduldigen weiße Mäuse zum Naschen - sehr zur Freude der Kinder.

Mitten im Wohngebiet im Berliner Stadtteil Rudow, am Rande von Neukölln, befindet sich der Bauernhof von Familie Mendler. Vor dem Hofladen reiht sich eine lange Schlange wartender Kundinnen und Kunden. Gerade zum Ende der Woche steigt die Nachfrage nach frisch gemolkener Kuhmilch, erzählt Bauer Georg Mendler stolz. Gemeinsam mit seinem Bruder Achim leitet er den Betrieb. »Wir verkaufen auch selbst gemachte Butter, Obst und Gemüse der Saison oder selbst geschlachtetes Fleisch.« Im Minutentakt trudelt neue Kundschaft ein, um etwas aus dem Hofladen der Mendlers zu kaufen. Viele Stammkundinnen und -kunden, aber auch immer wieder neue Gesichter, erzählt die Verkäuferin. »Die Leute sehen, wo es her kommt, was wir hier verkaufen«, erklärt Mendler den regen Andrang. Den Betrieb gibt es bereits seit 1930, damals noch in Schöneberg, mitten in Berlin.

Einen Bauernhof mitten in der Großstadt - das kann man sich heute schwer vorstellen. Damals war das jedoch nichts Ungewöhnliches. Rund 2000 Milchbauernhöfe gab es einst in Berlin. Die hatten die Aufgabe, die Millionenstadt mit frischen Lebensmitteln zu versorgen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war es üblich, sich auch in Großstädten auf den Hinterhöfen von Mietshäusern Tiere zu halten. Bei Mendlers standen die Kühe im Hinterhof, die Schweine waren im Keller und bekamen Küchenabfälle. Heute sind es rund 35 Kühe plus Nachzucht. Als die Verfütterung von Küchenabfällen 1996 verboten wurde, stellten Mendlers auch die Schweinehaltung ein. Stattdessen betreibt die Familie heute eine Pferdepension. Rund 50 Pferde haben in den Boxen Platz, von April bis Oktober stehen sie auf der Weide.

Wer den Bauernhof der Mendlers erkundet und über den morastigen Boden läuft, den Kuhfladen und Pferdeäpfeln ausweichend, könnte glatt vergessen, dass er sich in einer Großstadt befindet. Erst wenn man den Blick über die Weiden schweifen lässt, erinnern einen die nahe gelegenen Plattenbauten daran, dass dies hier Neukölln und nicht das Brandenburger Land ist. Dabei hat die Stadtlage des Bauerhofs durchaus etwas Gutes: »Der Vorteil ist, dass wir unsere Milch direkt im Hofladen verkaufen können«, sagt Bauer Mendler. Einen Euro kostet der Liter frische Kuhmilch bei ihm. Würde er seine Milch im Supermarkt verkaufen, bekäme er gerade mal ein Drittel des Preises.

Seit Jahren sind die Milchpreise im Keller. Für viele Landwirte ist das ein großes Problem. Sie können sich eine reine Milchwirtschaft nicht mehr leisten und müssen deswegen umsteigen. Etwa 35-40 Cent gibt es derzeit pro Liter Milch, viel zu wenig, findet Mendler. Der Grund für den niedrigen Milchpreis ist ein massives Überangebot auf dem Markt. Wenn zu viele Milchbauern und -bäuerinnen ihre Milch anbieten, sinkt automatisch der Preis, weil es nicht genug Abnehmer gibt.

Dass sich für Bauer Mendler der Milchbetrieb noch rechnet, liegt auch an seinem Hofladen. Zum Glück für die Kundschaft: Frisch gemolkene Milch ist in Berlin dann doch etwas ganz Besonderes.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal