Chaos und falsche Identitäten

Untersuchungsausschuss zum Fall Anis Amri befragt als Zeugen Mitarbeiter des Landesamts für Soziales

  • Lesedauer: 2 Min.

Das Durcheinander bei der Registrierung von Flüchtlingen in den Jahren 2015 und 2016 ist durch Befragungen im Amri-Untersuchungsausschuss erneut deutlich geworden. »Es wurde das Verfahren stets und ständig geändert, um des Ansturms Herr zu werden«, sagte am Freitag Karla Merkel, Sachbearbeiterin im früher zuständigen Lageso und jetzigen Landeamt für Flüchtlingsangelegenheiten.

Von Oktober 2014 an und über das ganze Jahr 2015 seien die Sachbearbeiter durch die schiere Menge zu bearbeitender Fälle völlig überfordert gewesen. Fast jeden Tag habe es Sitzungen des Krisenstabs gegeben, alles sei nur darauf ausgerichtet worden, »das Chaos zu bewältigen«, sagte die Zeugin. »Es hat uns einfach überrollt.« Mehrfach hätten ihre Kollegen damals festgestellt, dass sich Flüchtlinge mehr als einmal als Asylbewerber registrieren ließen. Das sei jeweils nur zufällig anhand von Fotos aufgefallen, weil Fingerabdrücke erst 2016 elektronisch registriert und verglichen werden konnten.

Auch der spätere islamistische Attentäter Anis Amri habe sich 2015 dreimal in Berlin mit verschiedenen falschen Identitäten registrieren lassen, am 28. Juli, 10. September und 11. Dezember, und zum Teil auch direkt Bargeld kassiert. »Wir konnten das damals nicht feststellen, weil wir nicht über Fingerabdrücke die Identität registrierten.« Allerdings habe es am 2. November 2015 einen Akteneintrag zu einer Alias-Identität von Amri gegeben, vermutlich wegen eines Anrufs der Polizei beim Lageso.

Als weitere Zeugen wurden der Leiter der Berliner Ausländerbehörde und ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erwartet.

Amri war am 19. Dezember 2016 mit einem entführten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt gefahren, er tötete zwölf Menschen und verletzte rund 70. Der Polizei war Amri lange zuvor als Drogenhändler und potenzieller Islamist bekannt. Wegen einiger Pannen bei den überlasteten Behörden wurde er aber nicht in sein Heimatland Tunesien ausgewiesen. Die Polizei bemühte sich zudem nicht intensiv, ihn in Untersuchungshaft zu bringen, weil parallel Dutzende islamistische Gefährder beobachtet werden mussten. dpa/nd

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