SPD

Die Sozialdemokratie wird zum Selbstmord gezwungen, nicht zuletzt vom Gespenst Gerhard Schröders, meint Leo Fischer

Einer der unheimlichste Auftritte im zurückliegenden Wahlkampf war der des Gespenstes Gerhard Schröders, das sich im Juni in der Dortmunder Westfalenhalle manifestierte. Der Schulzzug war schon weitgehend zum Stillstand gekommen, Ratlosigkeit machte sich breit, »Spiegel«-Redakteure sammelten bereits Loser-Zitate - da trat Schröder zwischen die Sozen, erinnerte an seinen eigenen Wahlkampf, gerierte sich gar als Einpeitscher für seinen Freund Martin. Er hatte dabei den Charme eines Schaulustigen, der dem Selbstmörder ein fröhliches »Spring doch!« zuruft.

Spukhaft schon sein Erscheinungsbild: Schröder war schon so lange aus den Medien verschwunden, die Erinnerung an ihn so glücklich verblasst, dass er nun wie seine eigene, schon leicht angeschmolzene Wachsfigur wirkte, maskenhaft, wie ein fleischgewordener Albtraum. Er, der wie keiner sonst für das Ende der deutschen Sozialdemokratie steht, bot seinem Konkursverwalter Schulz plötzlich Wahlkampfhilfe an. Und der bedankte sich auch noch bei ihm.

Der letzte lebende SPD-Altkanzler, der jetzt den russischen Konzern mitverwaltet, den Schulz’ EU mit Sanktionen belegt hat, ist zugleich das größte und ganze Problem der SPD. Die Partei steht noch vollständig in seinem Bann, überall stehen seine Prätorianer und bewachen - was eigentlich? Es ist keine Substanz mehr da, die zu verteidigen wäre; es gibt nur noch Personalien, die auf Teufel komm raus erhalten bleiben müssen, und die Endlosrochade von Steinmeier, Scholz und Gabriel, die jedes Jahr neu die Posten unter sich verteilen. Die zweite Reihe in der SPD ist zur Gesichtslosigkeit verdammt, völlig unbekannte Ministerpräsidenten tauchen auf und verschwinden wieder, kaum dass man sich ihre Namen gemerkt hat. Dem in einem planlosen, diffusen Wahlkampf von der Partei restlos verbrauchten Martin Schulz dämmerte es wohl, dass der Untergang nicht nur der SPD, sondern auch des deutschen Parteiensystems der Nachkriegszeit unmittelbar bevorsteht: Der Gang in die Opposition hätte wenigstens die Chance gebracht, mittelfristig das Ende der alten Schröderianer-Garde, deren assoziiertes Mitglied er selbst ist, herbeizuführen. Der Mann, der Silvio Berlusconi in den Boden reden konnte und doch von der sozialdemokratischen Provinz niedergeknüppelt wurde, wollte den kleinen Tod der Partei, um den großen abzuwenden.

Zum Dank dafür stellen sie ihn schon jetzt zur Disposition - Kanzlerkandidaten der SPD sind spätestens seit Peer Steinbrück nur mehr zum Verbrennen da. Der mittlerweile fast ebenso gespenstisch erscheinende Olaf Scholz ließ bei Markus Lanz seine Verachtung für Schulz nahezu unverblümt durchblicken; selbstverständlich hat er nicht vor, irgendwelche Fäden aus der Hand zu geben; auch, wenn diese die Partei strangulieren. Der Erste Bürgermeister der Stadt Hamburg, die sich nun wieder politische Gefangene hält wie sonst nur zu RAF-Zeiten, nähme sichtbar gerne noch zwei, drei fette Jahre in einer Großen Koalition mit, bevor der Kahn endgültig kentert. Schon springt die Presse bei; der Kommentator der »Stuttgarter Zeitung« glaubt gar zu wissen, »dass die Menschen den Mut honorieren, mit einer solchen Entscheidung die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen«. Und der Architekt der Misere, Gerhard Schröder, hat es plötzlich schon immer gewusst, dass der Martin nichts taugt: »Bei der SPD gibt es gute Leute wie Andrea Nahles und Olaf Scholz.« Es sollte mal einer prüfen, ob er überhaupt noch SPD-Mitglied ist.

In der Basis ist Schulz beliebt, aber seine Tage sind doch gezählt: Wenn er nicht jetzt zurücktritt, wird er auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember zurückgetreten. Es nützt nichts, dass es sympathische Leute in den Landesverbänden gibt; es nützt nichts, dass manche Jusos gelegentlich kluge Dinge schreiben - das Problem ist die Chefetage, die sich nach wie vor aus dem Personalpool vom Anfang der Nullerjahre speist. Und niemand spricht es aus.

Die Umfragen lassen nichts anderes zu: Auch Neuwahlen würden die Parteien wieder nur vor die Wahl zwischen Jamaika und Großer Koalition stellen; die Gewinne, die Lindner und die AfD sich wohl ausgerechnet hatten, werden überschaubar ausfallen. So wird die SPD in den Selbstmord gezwungen, nicht zuletzt von dem Gespenst Schröders. Französische Verhältnisse, in denen Kurzzeitbündnisse - zusammengehalten durch Marketing und schöne Gesichter - die Parteien ersetzen, scheinen gar nicht mehr so weit entfernt.

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