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Kompromissbringer auf wackligen Beinen

Jochen Flackus soll als neuer Parteichef die zerstrittene Saar-Linkspartei einen - auf breite Unterstützung kann er vorerst nicht hoffen

  • Jörg Fischer, Völklingen
  • Lesedauer: 4 Min.

Bernhard Haupert, Soziologe und nach eigenen Angaben seit 20 Jahren als Supervisor unterwegs, war eigens von Mainz gekommen, um die Wahl des neuen Vorstandes der Saar-Linkspartei zu beobachten. »Wie eine zerstrittene Familie«, analysierte der Professor, selber »aus Solidarität« einfaches Parteimitglied. »Wenn man die Türen für eine Therapiesitzung zugesperrt hätte, würden bald Tränen fließen.« Was seine Partei dringend bräuchte, wäre ein Mediator von außen, so der Saarländer Haupert.

In den vergangenen Wochen haben sich die Genossen gegenseitig mit Parteiausschlussverfahren überzogen und sind immer wieder vor Gerichte gezogen. An Appellen zu einem Neuanfang mangelte es am Samstag in Völklingen nicht. Es gelte die »tiefen Gräben zuzuschütten«, sagte Jochen Flackus vor seiner Wahl zum neuen Parteichef. Es gehe nicht so weiter, sonst werde es die Partei, die als einzige für die Abgehängten spreche, an der Saar bald nicht mehr geben, begründete er seinen Schritt.

Flackus ist seit Jahren ein enger Vertrauter Lafontaines. Von 1988 an begleitete er den Politiker in dessen Ministerpräsidentenzeit als persönlicher Referent, Büroleiter, Planungschef und Büroleiter. Später leitete der Ökonom im Saar-Wirtschaftsministerium, das von der CDU und später von der FDP geführt wurde, die Technologieabteilung. Er arbeitete auch als kaufmännischer Direktor an zwei Forschungsinstituten, die sich der Digitalisierung gewidmet haben.

Bevor er sich am Samstag zum neuen Parteichef wählen ließ, hatte Flackus bei der Linkspartei, der er 2009 beitrat, kein Amt. Zur Landtagswahl Anfang des Jahres machte es Lafontaine zur Bedingung für eine erneute Spitzenkandidatur, dass Flackus seine rechte Hand in der Landtagsfraktion werde. Jetzt ist Flackus als Nachfolger von Heinz Bierbaum als Parlamentarischer Geschäftsführer und als Vorsitzender des Haushaltsausschusses der wichtigste Mann für Fraktionschef Lafontaine.

Vor seiner Wahl zum LINKEN-Chef waren die Emotionen noch mal hochgekocht. Die scheidende Landesvorsitzende Astrid Schramm redete sich ihre Enttäuschung von der Seele. Am Anfang ihrer Amtszeit habe es »Fragen und Unklarheiten« gegeben. Jetzt seien die »Unklarheiten« so weit gewachsen, dass kein Vertrauen mehr zwischen ihr sowie Landesgeschäftsführer Andreas Neumann und Schatzmeister Thomas Lutze bestehe.

Aus Schramms Worten sprach auch ihre persönliche Enttäuschung. Tränen konnte sie nur mühsam unterdrücken. Ihre Rede wurde immer wieder von Buhrufen unterbrochen, etwa als sie erneut Aufklärung der Vorwürfe gegen den Schatzmeister und Bundestagsabgeordneten Lutze forderte. Denn weiter steht die Kritik im Raum, dass Lutze im Mai seine Wahl auf Platz eins der Landesliste zur Bundestagswahl manipuliert, also »Stimmvieh« herangekarrt haben soll.

Lutze selber verzichtete auf eine »Gegenrede« und beschränkte sich auf seine Berichte als Bundestagsabgeordneter und Schatzmeister. Um des Friedens willen kandidierte der 48-jährige ehemalige Leipziger nicht wieder als Schatzmeister. Diesen »Kompromiss« hatte der Landesvorstand unter der Vermittlung von Bundesvize Heinz Bierbaum ausgehandelt. Dafür sind im Landesvorstand weiter Anhänger des Lutze-Lagers vertreten. So wurde der bisherige Landesgeschäftsführer Neumann zu einem der Vize gewählt.

Oskar Lafontaine war nicht beim Parteitag erschienen, um ein »Machtwort« zu sprechen, wie es sich ein Parteimitglied gewünscht hätte. Schramm zitierte dafür »unseren Gründungsvater«: Das bestehende Mitgliedersystem bei Wahlparteitagen »belohne denjenigen, der die meisten Leute herankarrt und genügend Geld hat, um Mitgliedsbeiträge für andere zu bezahlen«. Mitglieder mit geringem Einkommen hätten keine Chance.

Dieser für eine Partei wie die LINKE »unhaltbare Zustand« habe sie dazu veranlasst, auf eine erneute Kandidatur zu verzichten. Weder Lafontaine, noch Bierbaum hätten sie zum Rückzug gedrängt, betonte Schramm. Der 74-jährige Lafontaine steigt tatsächlich schon längst nicht mehr in die »Niederungen« der Landespartei (Bierbaum in einem Interview), der frühere Landtagsabgeordnete Bierbaum selbst engagiert sich im Saarland nur noch hinter den Kulissen für die Partei.

Flackus betonte am Samstag, er sei jetzt fast 63, gehe politisch seinen »eigenen Weg« und sei - wenn nötig - durchsetzungsfähig. Er wolle jetzt eine »Kompromisslinie im neuen Vorstand«, die alle Gruppen einbeziehe. Ob er die zerstritten Partei befrieden kann, könne er allerdings nicht versprechen. Sein Ergebnis von rund 62 Prozent bei der Vorsitzendenwahl macht weniger Mut - bedeutet es wohl, dass die meisten aus dem Lutze-Lager gegen den Vorsitz gestimmt haben. Umgekehrt bekamen auch deren Kandidaten nur gut die Hälfte der Stimmen.

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