nd-aktuell.de / 29.11.2017 / Politik / Seite 2

Afrikaner sollen draußen bleiben

Die Europäische Union versucht unter deutsch-französischer Führung, die EU-Außengrenzen in die Sahara zu verlagern

Bernard Schmid, Paris

Migranten vom gefährlichen Weg über Libyen abhalten, indem man sie gleich in ihren Ländern oder nahe an ihnen festhält: Darauf läuft die neueste Maßnahme in der französischen Migrationspolitik hinaus. Ende Oktober hat das OFPRA - das französische Pendant zum deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlingen - mit ersten Anhörungen auf dem Territorium des Staats Niger begonnen, die im November fortgesetzt wurden. 200 Menschen, die in Flüchtlingslagern dort leben, wurden dabei angehört. Insgesamt will die französische Regierung künftig 3000 Menschen in den nächsten Jahren über ein Resettlement-Programm aufnehmen. Betroffen sind Staatsangehörige der ganzen Region, die Tschad, Sudan, Niger und die Zentralafrikanische Republik umfasst.

Angeregt hatte eine solche Politik der neue Staatspräsident Emmanuel Macron erstmals im Sommer dieses Jahres. Anlässlich eines Besuchs in einer Asylunterkunft in Orléans am 28. Juli betonte Macron damals, künftig werde man seitens Frankreichs und der EU-Staaten über Asylanträge bereits in Libyen befinden. Konkret regte er an, dort künftig »hot-spots« zur Sortierung von Migranten und Geflüchteten einzurichten, ähnlich, wie sie derzeit auf den griechischen Inseln - wie in Moria auf Lesbos - existieren. Auch auf die Nachbarländer wie Tschad und Niger wollte Macron dabei das vorgelagerte Grenzregime ausdehnen.

Emmanuel Macron präsentierte dabei seine Idee von der vermeintlich menschenfreundlichen Seite: Bei der Aufnahme von wirklich politisch Verfolgten werde er »kompromisslos« Ja sagen. Und es gelte, Menschen, die Fluchtgründe anführen könnten, die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer zu ersparen: Die Gründe könnten sie auch gleich südlich des Mittelmeers den EU-Repräsentanten vortragen. Deswegen stellte die rechtsextreme Presse wie die aggressiv muslimfeindliche Webseite Riposte Laïque die Dinge sogleich verzerrt so dar, als wolle Macron »jetzt schon die Migranten in Libyen und in Niger abholen«.

Die Kehrseite der Medaille ist dabei, dass Macron a priori von einer strikten Trennbarkeit zwischen »politischen« sowie »Wirtschaftsflüchtlingen« ausgeht. Letztere sollen dabei weiterhin keine Chance haben, Aufnahme zu erhalten. In Frankreich liegt die Anerkennungsquote insgesamt bei einem Drittel. Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge sollen künftig gleich auf der Südseite des Mittelmeers festgesetzt werden. Notfalls eben in der libyschen Wüste. Wieviele Geflüchtete bereits jetzt durch die Verschiebung der Fluchtrouten irgendwo in der Wüste verdurstet sind, ist nicht dokumentiert. Schätzungen für das Jahr 2016 gehen jedoch von mindestens 15 000 Toten aus.

Am 8. August schaltete sich der französische Innenminister Gérard Collomb ein und besserte inhaltlich nach: Sein Chef Emmanuel Macron sei falsch verstanden worden. In Libyen selbst lasse die Sicherheitslage es derzeit nicht zu, Aufnahmelager für Migranten einzurichten; Macron habe lediglich - sic - über die Einrichtung solcher Zentren in »Ländern südlich von Libyen«, also in Tschad und/oder in Niger, laut nachgedacht.

Zum damaligen Zeitpunkt sorgten Enthüllungen über die Zustände in Libyen selbst dafür, dass eine solche Idee mit Hinblick auf das nordafrikanische Land nicht mehr als tragbar erschienen wäre. In der augenblicklichen Atmosphäre der Empörung über die Enthüllungen, die die Existenz nicht nur sklavereiähnlicher Arbeitsverhältnisse, sondern buchstäblich von Versklavung in Libyen belegen, versuchte Macron sich unterdessen sogar an die Spitze stellen. Er sprach am vorigen Donnerstag laut von »Verbrechen gegen die Menschheit« und forderte die Einberufung einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zum Thema, die nun an diesem Dienstag zusammentrat. Zugleich hält seine Regierung jedoch an der Idee einer Exterritorialisierung von Migrations- inklusive Asylpolitik und ihrer Auslagerung auf afrikanischen Boden unbeirrt fest. Dies wirft allerdings scharfe Fragen auf wie etwa die, wer über die extraterritorialen Aufnahmelager oder »hot-spots« wacht, oder was mit den Abgelehnten dort passiert.