»Raus aus der Vitrine, rauf auf den Tisch«

Nachdem die Porzellan-Manufaktur Meissen fast in die Pleite geführt wurde, steuerte die neue Leitung um

  • Jörg Schurig, Meißen
  • Lesedauer: 3 Min.

Zurück zu den Wurzeln: Sachsens mehr als 300 Jahre alte Porzellan-Manufaktur Meissen baut nach ihrem Ausflug in Luxusgefilde wieder auf ihr Kerngeschäft Porzellan und ist dabei selbstbewusst. »Nachdem die Entscheidung zur Finanzierung im Oktober getroffen wurde, sind wir voller Tatendrang, unsere Pläne nun umzusetzen«, sagt Georg Nussdorfer, seit reichlich einem Jahr einer der beiden Geschäftsführer des Unternehmens und für Marketing und Vertrieb zuständig. Man wolle das weltweit begehrteste Manufaktur-Porzellan herstellen. Kunden hätten positiv auf die Rückbesinnung reagiert. Allerdings brauche man jetzt einen langen Atem.

Unter dem früheren Geschäftsführer Christian Kurtzke 2009 hatte das Unternehmen mit dem Markenzeichen der Blauen Schwerter einen Kurswechsel vollzogen. Kurtzke wollte Meissen zu einem Luxuskonzern umbauen und ließ immer mehr Schmuck, Kleidung sowie Accessoires produzieren. Der Plan misslang. 2014 stand ein Verlust von 19,2 Millionen Euro zu Buche. 2015 waren es 12,1 Millionen Euro. Die Manufaktur musste sich vom Land Sachsen Geld leihen. Jetzt darf sie ihre Schulden später zurückzahlen als zunächst geplant. Die Darlehen in Höhe von 22 Millionen Euro werden ab 2021 über zehn Jahre getilgt.

Das alles gibt der Manufaktur Luft zum Atmen: »Unsere größte Aufgabe besteht darin, das Porzellan wieder begehrenswert zu machen. Meissen ist als Marke zwar noch im Gedächtnis eingebrannt«, sagt Nussdorfer. Ein Selbstläufer sei das aber nicht. Der 46 Jahre alte Österreicher, der in seiner Heimat lange beim Schmuckhersteller Swarovski tätig war, hat vor allem junge Käufer im Blick.

»Dem alten Meissen war eine gewissen Selbstironie, Frechheit und Gesellschaftskritik eigen, man denke nur an die Affenkapelle. Das ist etwas, was man neu interpretieren kann«, sagt Nussdorfer. Auf jeden Fall müsse die Devise lauten: »Raus aus der Vitrine und rauf auf den Tisch.« Damit spielt der Geschäftsführer auf ein Image an, das Meissen trotz moderner Kreationen noch immer anhaftet. Weil die meisten Besitzern das wertvolle Porzellan wie einen Schatz hüteten, wurde es nur zu ausgewählten Festivitäten benutzt und verschwand danach wieder hinter Glas.

Doch Meissen will mit seinen Produkten nichts Museales sein. Man müsse sich anders präsentieren, findet Nussdorfer. Künftig soll das Porzellan nicht nur in den Meissen-Boutiquen und im Fachhandel zu finden sein. Manches ist noch in der Schwebe, eines steht aber fest: Die Auslandsmärkte hat die Manufaktur zentral im Blick. »Japan, Taiwan, China, Russland, Teile der arabischen Welt oder auch die USA«, sagt Nussdorfer und hofft auf »luxusaffine Kunden«. Ende 2020 soll und will das Unternehmen wieder schwarze Zahlen schreiben.

Im Zusammenhang mit dem neuerlichen Kurswechsel wurden etwa 60 von vorher rund 690 Stellen abgebaut - aber nur ein knappes Dutzend durch Entlassungen. Die Besinnung auf das Kerngeschäft sei von der Belegschaft als Erlösung empfunden worden, heißt es aus dem Betriebsrat. Aus dessen Sicht steht die Belegschaft auch dem neuen Unternehmenskonzept offen gegenüber. Der Personalabbau sei »in einem für beide Seiten fairen Interessenausgleich« und mit Sozialplan erfolgt.

Nussdorfer sieht allerdings auch eine Gefahr: »Man neigt dazu, im Fokus auf das Porzellan schnell wieder beim Alten zu landen und alles so zu machen wie früher.« Doch Veränderung werde gebraucht. »Jetzt geht es darum, die vorhandene Energie in Bewegung nach vorn umzusetzen.«

Der Verband der Keramischen Industrie in Deutschland bewertet die Entwicklung einzelner Firmen nicht. »Für das hochpreisige Segment, besonders für kunsthandwerkliche Porzellanprodukte, gibt es auf wichtigen Exportmärkten wie beispielsweise in Russland Schwierigkeiten. Wir gehen davon aus, dass der Export mittelfristig wieder anziehen wird, für das Jahr 2018 ist eine konkrete Prognose allerdings nicht möglich«, sagt Hauptgeschäftsführer René Holler. Ohnehin sei die Branche nicht sonderlich homogen. Im Projektgeschäft für Hotels oder Gaststätten sei der Umsatz gewachsen, beim Haushaltsporzellan sei das Geschäft aber leicht zurückgegangen. dpa/nd

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