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Revolte ist ein schönes Spiel

Ein starker Genet am Deutschen Theater Berlin: »Die Zofen«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.
Ein Spaßwort geht um: Früher habe es zwei Geschlechter und zwei Volksparteien in Deutschland gegeben, damit sei’s vorbei - absehbar würden wohl Milliarden Geschlechter (jeder Erdbewohner sein eigenes) gezählt werden müssen. Ja, und womöglich werden Watch-Beamte der politischen Korrektheit demnächst einschreiten, wenn Männer auf einer Bühne parodierend - Frauen spielen. Vom Schwanensee-Ballett der Stachelbeine bis zu »Charleys Tante« und »Tootsie«: Geschlechtertausch zum Lachen, über die Zeiten hinweg. Solch Erfolg ist - im umgekehrten Verfahren - Frauen nie wirklich gelungen, nicht mal Shakespeares Hosenrollen-Mädchen. Wie lange schaut das aufgeziegelte Vorkämpfertum da noch tatenlos zu?

Jean Genet jedenfalls hat seinem Stück »Die Zofen« (1947) die Bitte beigegeben: »Drei Weiber, gespielt von drei Männern, so wäre es wünschenswert.« Ivan Panteleev (Bühne und Kostüme: Johannes Schütz) inszenierte am Deutschen Theater Berlin - mit Samuel Finzi, Wolfram Koch, Bernd Stempel. Kleider, Röcke, Perücken, schwarz, blond, dazu Hüftschwung und Stöckeln: Gender-Gaukel zur Ein-Stimmung. Die wird kippen.

Quälendes wird verhandelt: Herrschaft und Knechtschaft, Liebe und Hass, Aufbegehren und Verzicht. Zwei Zofen spielen, wenn die Herrin außer Haus ist, Zofe und Madame. Kleiderwechsel, Gebärdenwechsel. Ein Spiel von Herrschaft und Demütigung - um die tägliche Demütigung durch Herrschaft auszuhalten. Zwei, die ihre harsche Wirklichkeit und ihre dunkle Fantasie irgendwann nicht mehr unterscheiden können. Die Schwestern Claire und Solange proben im Spiel den Mord an der »Gnädigen Frau«, aber als diese am Tage, da es endgültig geschehen soll, heimkommt, da wird der durchgespielte Tötungsplan - Gift im Lindenblütentee - nur zum Auslöser einer panisch genossenen Selbstzerstörung. In Wirklichkeit ist die Wirklichkeit das Gift, und der Tod wird lebend abgebüßt.

Genet, der 1986 starb, war ein Wanderer zwischen Anstalt, Gefängnis, Fremdenlegion, Literatursalon. Er trug lebenslang den Ausweis authentischen Erleidens, erhob das Verbrechen zum Zentrum seiner schriftstellerischen Arbeit. Abgestanden sein Kammerspiel? Auferstanden. Da wollen Menschen ihr Elend sprengen, der Zorn ist da, das Szenario durchkalkuliert - Fehlanzeige. Es ist, als porträtiere die Gegenwart sich selber: Plebejer proben den Aufstand, ein Nullsummenspiel.

Claire und Solange: Samuel Finzi und Wolfram Koch! Schon so oft auf der Bühne des DT: ein diabolisches Duo, ein phänomenales Paar. Befeuerte Komödianten, dann plötzlich spielen sie das Leben grundtraurig - wie Asche, die Gott von seiner Zigarettenspitze schnippt. Das Komische, das Tragische als großer Zauber: Man kann auch an Knochen nagen, die gar nicht da sind, man kann mit allem spielen, das nicht existiert. Mit allem, das gemeinsam das Nichts bildet. Und schon ist das Nichts bevölkert. Die Finzi-Koch-Daseinserzählung: Wir Menschen sind gestartet und können es nicht fassen; wir sind gestrandet und begreifen auch dies nicht.

Finzi behandelt Weisheit wie Sonnenblumenkerne: Die sind was zum Kauen, aber auch zum Spucken. Ein schlenzendes Gemüt, dem sich Güte glatt auch auf Gauner reimen würde. Koch kann sich aasig winden, alle Körperteile ein Schlitzohr. Spitz, lauernd, vorder- und hinterlistig, betörend glasig. Sich ausdrücken, Schauspielers Gewerbe: Das klingt ein wenig nach Tube. Finzi und Koch können das großartig: auf die Tube drücken - aber so, dass alles an ihnen Schicksal wird. Minirock und die Perücken plötzlich abgenommen: im traurigen Witzbild so viel Verletzlichkeit, Angst und Scham.

Es scheint in diesen hundert Minuten, als sitze Regisseur Panteleev in den Zwischenräumen seiner eigenen Arbeit und schärfe unmerklich, aber raffiniert die Kanten der Inszenierung, bis das Spiel, eben noch so rund und lustspielgeläufig, sehr schneidend und gewalttätig wird. Finzis Claire ist aufreizend mürrisch und von graziler Bosheit, wenn sie Madames rotes Kleid trägt. Im Furor der Verzweiflung reißt Claire sich die erbärmliche hässliche Haut vom Leibe, ach nein, es ist nur das dünne Netz der grünen Strumpfhose. Ein Weinen und Greinen und Schreien, das sich gleichsam zum Singen zwingt.

Koch als Solange: eine Veteranin der abgelebten Leere, der spukhaften Trauer, des kalten Fiebers der Müdigkeit. Wo sich Finzi mit lustvoll rauem Ingrimm in die leidwunde Hysterie einer unerreichbaren Befreiung brüllt, da schwärmt sich Koch in jene kurze Berühmtheit aus Hinrichtung und Beerdigung, die er als Mörderin der »Gnädigen Frau« erlangen wird. Der Zofentraum, jung und schön und frei zu sein, mischt sich mit dem Wunsch des kriminellen Märtyrers. Auch dies jagt dir das Brennen der Gegenwart unter die Haut.

Leben heißt in guten Inszenierungen: leiden. Aber leiden heißt hier auch: übers Leiden lachen. Das ist Verrat am Leiden. Oder Triumph. Triumph zum Heulen. Dies zeigt die Inszenierung - und lässt an diesem Umstand ihre Zofen aufs Neue leiden. Und lässt sie darüber dann gesteigert böse, hämisch, giftig grinsen. Sozusagen ein Doppelverrat, der sich immer weiter vervielfacht. Und in Bernd Stempels gnädiger Frau einen nächsten Höhepunkt erklimmt. Blaues Kleid, dann seidiger Unterrock, die tantengraue Perücke, dann Glatze - Stempel besitzt die wunderbare Fähigkeit einer salopp tänzelnden Ironie, die wunderbar leicht unter Bedeutungen hinwegtauchen kann. Ein fröhlich-nöliger Herunterkühler, der diese »Gnädige Frau« zur zart robusten, heimlichen Lenkerin des Zofenspiels erhebt.

Über der ewigen Wiederholung des Spiels sind Claire und Solange zwei ausgebrannte Menschen geworden. Zwei Kinder im Wald, eines des anderen garstiges Gespenst - um nur inniger die Hand des anderen suchen zu können. Hand, die wegstößt; Nähe, die neuen Hass ausbrütet. Die Aufführung - ohne jede schwüle Überzüchtung, ohne tuntiges Zwinkern - ist nah bei Hölderlin, der nur in den Verzweifelten die getriebenen, aber auch einzig freien Spieler sieht.

Eine Revolte derer unten gegen die oben? Sozialkampf? Nein, in gleißend hellem Bühnenrund, mit einer beweglichen Trennwand, die Spiegelfläche und Zimmertrennung ist, bleibt dies alles nur eine Versuchsanordnung, die sich in Vorfreuden erschöpft. Kennen wir aus dem Leben. Daher muss Literatur asozial bleiben. Genet bezieht aus dem Elend der Welt zwar eine Sinngebung - jedoch mit Warnung davor, sich in der Illusion zu verlieren, dies Elend sei besiegbar. Literatur muss radikal das Schlimmste heiligen, das Obszöne herrufen - all das, was wir Domestizierte uns versagen. Um in Kulturen der Duldsamkeit, der Phrasen und der Feigheit zu veröden. Mit der realen Gewalt leben wir, in Herrschaft richten wir uns ein, Verstrickung ist das Wesen unseres Blutkreislaufs. Der »anständige« Bürger tut also das Böse, aber: Er verheimlicht sich fortwährend - Genet erhebt es daher zum Luxus: dieses Böse ungeschönt zu denken; der Mörder ist der wahrhaft Ehrliche.

In den Kollapsschüben der Gegenwart, in einer Menschenwelt von Millionen isolierten Betäubungen - da zählt auch wieder Genets böse Gewaltidee als assoziativer Beitrag, auf dem Konto einer neuen, notwendigen »Weltbank der Dissidenz«. Die Gedankenspiel bleiben sollte. So, wie die Revolution, unter der alles birst. Sehnsucht ist revolutionär, aber niemals jene Praxis, die aus radikalen Träumen Realität keltern will.

Am Schluss sitzen Claire und Solange an der Rampe, die Wirklichkeit hat wieder versagt, also gesiegt - wenigstens das Spiel sollte nun kalt zu Ende gebracht werden. Kalt wie der Tee inzwischen. Da, trink! Finzi, wieder als Madame, schluckt. Beide singen. Finzi in Atemnot. Das Gift? Schluss. Seine Claire hatte noch mit den Schultern gezuckt. Wirkt das Gift nicht? War da gar keins im Tee? Verloren, gewonnen. Kein Endspiel, nur das Ende einer Partie? Ja, spielen wir weiter. Und sei es Revolte.

Nächste Vorstellungen: 9., 16. Dezember

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