nd-aktuell.de / 11.12.2017 / Politik / Seite 6

Verteidigung spielt auf Zeit

Der erste Prozesstag um das Unglück bei der Loveparade 2010 bestätigt Befürchtungen - man kam nur schleppend voran

Sebastian Weiermann

Mehr als sieben Jahre ist die Loveparade in Duisburg her. Bei der weltberühmten Techno-Party starben am 24. Juli 2010 21 Menschen. Sie wurden an den viel zu engen Ein- und Ausgängen erdrückt. In der Folge der Katastrophe musste der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland seinen Hut nehmen und die Loveparade wurde nicht mehr wiederholt. Eine strafrechtliche Aufarbeitung der Ereignisse fand bisher nicht statt. Mit dem am Freitag begonnenen Prozess soll das nun endlich nachgeholt werden.

Sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent sitzen auf der Anklagebank. Der Mega-Prozess - die zehn Angeklagten haben 30 Verteidiger, ihnen gegenüber stehen 68 Nebenkläger mit 38 Anwälten - findet nicht in Duisburg statt, sondern in Düsseldorf. Wegen des erwarteten großen öffentlichen Interesses wurde auf dem dortigen Messegelände eigens eine Halle zum Sitzungssaal mit 234 Plätzen umgebaut. Doch der Andrang blieb aus. Neben den rund 25 anwesenden Nebenklägern kamen nur rund 50 Zuschauer nach Düsseldorf.

Unter den Zuschauern Jeanine Minaty, die damals an der Schnittstelle zwischen der europäischen Kulturhauptstadt »Ruhr 2010« und Loveparade-Chef Rainer Schaller arbeitete. Ihre Anwesenheit sorgte für Kritik seitens der Verteidigung. Minaty sei eine Zeugin, sie könne nicht als Zuschauerin anwesend sein. »Haarscharf« sei sie darum herum gekommen, selbst auf der Anklagebank zu sitzen. Heute ist die Frau »Head of Communications« in Schallers Fitnessstudio-Kette »Mc Fit«. Minaty verließ den Saal schließlich freiwillig. Ein weiterer potentieller Zeuge ebenfalls.

Der Hinweis auf potentielle Zeugen im Zuschauerraum wurde auch von der Nebenklage wohlwollend aufgenommen. Doch dann begannen die Verteidiger der Angeklagten mit einer Kaskade aus Anträgen. Zwei Ergänzungsschöffen sollten wegen möglicher Befangenheit ausgeschlossen werden, da ihre Töchter bei der Loveparade waren. Die rechtmäßige Zusammensetzung des Gerichtes wurde angezweifelt.

Tag eins der Loveparade vor Gericht verlief somit so, wie es viele befürchtet hatten: Die Verteidiger spielen auf Zeit. Zeit, die das Verfahren nicht hat: Denn gibt es bis Ende Juli 2020 kein erstes Urteil, verjähren die Vorwürfe. Entsprechend zornig reagierten Nebenklage-Anwälte auf die Verzögerungsstrategie. Das Verhalten der Verteidigung sei »rechtsmissbräuchlich«, kritisierten sie. Nach unzähligen Pausen und Anträgen war es sechs Stunden nach Prozessbeginn doch so weit und die Anklageschrift wurde verlesen. Die Staatsanwaltschaft wirft darin den Angeklagten fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor. Ihnen drohen bis zu fünf Jahre Haft. Sie hätten sich schwere Planungsfehler und eine rechtswidrige Genehmigung der Loveparade zuschulden kommen lassen. So hätten die Mitarbeiter der Stadt beispielsweise auf die Breite von Fluchtwegen achten müssen. Die Mitarbeiter von Lopavent hätten wiederum mit falschen Zahlen operiert.

Sollte der Prozess so weiter gehen wie am ersten Tag - und dafür spricht einiges -, dann dürfte das Verfahren gerade für die Angehörigen der Toten zur Qual werden. Und selbst wenn ein Urteil fallen sollte, könnte dies auch ein Freispruch sein. Denn, dass die Fehler bei der Planung zwangsläufig zu der Katastrophe führen mussten, ist nicht gesagt. Auch am Tag der Parade gab es zahlreiche Fehlentscheidungen, zum Beispiel bei der Polizei. Polizisten sitzen allerdings nicht auf der Anklagebank.

Bis Ende 2018 sind weitere 110 Verhandlungstage angesetzt. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.