Ein saudischer Stellvertreterkrieg

Jemen versinkt in Chaos und Krieg. Werner Ruf erklärt, warum das so ist - und wer die Gegenspieler in dem Konflikt sind

  • Werner Ruf
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit zweieinhalb Jahren führt Saudi-Arabien in Jemen einen Krieg, der nach Einschätzung der Vereinten Nationen die wohl größte humanitäre Katastrophe der vergangenen Jahrzehnte ausgelöst hat: Im ärmsten Land der Arabischen Liga sind an die 10 000 Zivilisten den Kampfhandlungen zum Opfer gefallen, etwa 50 000 wurden schwer verletzt. 20 Millionen Menschen der insgesamt rund 27 Millionen Einwohner sind direkt von Hunger bedroht, sauberes Trinkwasser steht kaum mehr zur Verfügung, Seuchen wie Cholera greifen um sich und über drei Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die andauernden saudischen und emiratischen Bombardierungen treffen wahllos zivile Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser, Moscheen - all dies ist für unsere Medien kaum ein Thema, gilt Saudi-Arabien doch als »Anker der Stabilität«.

Im Zuge der arabischen Revolten des Frühjahrs 2011 musste Präsident Ali Abdullah Saleh, bis dahin verlässlicher Freund des Westens, zurücktreten. Die Houthis im Norden des Landes hatten schon lange mit Entführungen und kleineren Revolten gegen die Vernachlässigung ihrer Region durch die Zentralregierung protestiert. 2014 marschierten sie gen Süden und nahmen die Hauptstadt Sanaa ein. Salehs Nachfolger Abed Rabbo Mansur Hadi floh nach Saudi-Arabien.

Die Houthis gehören der Glaubensgemeinschaft der Zaiditen an, die der Schia zugerechnet wird. Prompt beschuldigte Saudi-Arabien den Vormarsch der Houthi als von Iran gesteuert, so wie sie den Aufstand der (schiitischen) Bahreinis gegen ihr sunnitisches Herrscherhaus 2011 als iranische Subversion bezeichnet hatten, um ihn dann mit Panzern niederzuwalzen. Der frühere Präsident Saleh, einst von den Saudis protegiert, dann aber von ihnen fallen gelassen, wechselte auf die Seite der Houthis, Anfang Dezember dieses Jahres dann wieder zurück zu den Saudis. Am 4. Dezember wurde er wohl von den Houthis ermordet: Chaos und Krieg eskalieren weiter.

Der von den Saudis zum Kampf gegen Iran erklärte Krieg gegen die Houthis bewirkte, dass Teheran tatsächlich zunehmend die Houthis unterstützte. Im Schatten der Auseinandersetzungen wuchs auch der militärische Einfluss von Al-Kaida im Südosten des Landes, wo die Organisation drei Provinzen kontrolliert. Von Saudi-Arabien wurde (und wird?) Al-Kaida aufgrund seiner puristischen wahabitischen Lehre und langer geheimdienstlicher Verbindungen eh als das kleinere Übel angesehen und zumindest toleriert. Im Land selbst wächst der Hass gegen die Saudis wegen ihrer brutalen Kriegführung und der Blockade der Häfen und Flughäfen, durch die jede ausländische Hilfe verhindert wird. Die Djihadisten sind zu einer realen militärischen und politischen Kraft geworden. Und Iran ist nunmehr im Konflikt präsent: Die Saudis haben das Gegenteil dessen erreicht, was sie zu erreichen vorgaben. Der Westen - erst recht seit dem Amtsantritt von Donals Trump in den USA - lässt die Saudis gewähren, indem er offensichtlich die Lesart übernimmt, es handele sich um eine Auseinandersetzung zwischen dem (guten, weil prowestlichen) Königshaus und den immer bösen Iranern.

In dieser Konstellation hat sich im Mittleren Osten eine neue Verbindung etabliert, die sich bereits angebahnt hat: die Achse Saudi-Arabien - Israel, deren geheimdienstliche Zusammenarbeit schon lange funktioniert. Sie richtet sich gegen den gemeinsamen Feind Iran. Und die neue Allianz scheint sich der Unterstützung durch Washington sicher zu sein: Die Kündigung des Atomabkommens mit Iran durch den amtierenden US-Präsidenten könnte diese Allianz als Freifahrtschein für einen Angriff auf den Erzfeind ansehen. Ob dieses Szenario aufgeht, ist allerdings eine Frage mit weiteren Unbekannten: Der neue »starke Mann« in Riad, Mohamed bin Salman, hat den wahabitischen Klerus, die ideologische Stütze des Regimes, weitgehend entmachtet. Er hat zahlreiche einflussreiche Prinzen und führende Geschäftsleute des Landes »wegen Korruption« verhaftet, die Wirtschaft Saudi-Arabiens will er nach neoliberalen Prinzipien neu ordnen und das Tafelsilber des Palasts, die Erdölfirma Aramco, soll an die Börse gebracht werden, um die gewaltigen Haushaltsdefizite des einst so reichen Landes zu kompensieren … Die Frage ist, ob der »reformfreudige« designierte Thronfolger seine usurpierte Allmacht wird erhalten können.

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