Agnolis Staatskritik als Evergreen

Die Thesen des italienischen Autors haben für Linke weiterhin Bedeutung

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn sich an einem Montagabend rund 150 Menschen in einen dafür viel zu kleinen Raum drängen, um ein Buch zu diskutieren, muss dies ein Text mit Sprengkraft zu sein. Für Johannes Agnolis »Die Transformation der Demokratie« trifft dies ohne jeden Zweifel zu.

Das Buch, das der italienische Politikwissenschaftler zusammen mit dem Sozialpsychologen Peter Brückner geschrieben hat, feiert dieses Jahr 50-jähriges Erscheinen. Das Jubiläum nahmen die Helle Panke und die linksradikale Gruppe TOP B3rlin zum Anlass, in den Räumen des Berliner Clubkollektivs about blank die Thesen des Buches zu diskutieren und auf ihre Aktualität hin zu prüfen.

Der Publizist und ehemalige Sprecher der Grünen im Bundestag Thomas Ebermann bettete das Buch zunächst zeithistorisch ein. Agnoli traf einen Nerv der beginnenden Studentenrevolte. Vor allem die Rezeption seiner radikalen Kritik der parlamentarischen Demokratie hatte der Schrift die Bezeichnung »APO-Bibel« eingebracht.

Darin analysierten Agnoli und Brückner unterschiedliche Techniken des Herrschens in westlichen Demokratien. Dabei betrachteten sie die aufgeheizte Diskussion um die bundesdeutschen Notstandsgesetze, welche während Krisen oder im Verteidigungsfall die Grundrechte einschränken können. Den Notstand interpretierten sie als Vorzeichen einer Tendenz zur Aushöhlung der Demokratie. Der liberale Rechtsstaat trage Momente des Faschismus in sich. Das Neue gegenüber dem historischen Faschismus sei, dass der autoritäre Staat nicht den Parlamentarismus zerstöre, sondern formell die Institutionen beibehalte. Der schwelende Klassenkampf werde durch ein Programm des sozialen Friedens stillgelegt.

Diese gelungene Einbettung von eigentlich stark widerstrebenden Interessen konkretisierte der Journalist und Autor Felix Klopotek auch am Beispiel des Wahlrechts. Durch dieses habe die Arbeiterklasse prinzipiell die Möglichkeit bekommen, den Staat zu übernehmen. Mit Agnoli lasse sich aber zeigen, warum die Arbeiter_innen genau dies nicht tun, sondern in der Regel am bürgerlichen Staat festhalten und wie aus ihnen reformistische Staatsbürger_innen werden.

Für die radikale Linke bedeute dies nun konsequenterweise den strikten Antiparlamentarismus: »Die Beteiligung am Parlament ist nur dann legitim, wenn sie fundamental oppositionell ist. Man kann das Parlament nur dekonstruktiv missbrauchen, es aber nie konstruktiv gebrauchen«, so drückt dies Thomas Ebermann aus.

Hier stimmte auch Jan Giolan von der Gruppe TOP B3rlin ein. Das Parlament würde nicht den Volkswillen repräsentieren, sondern sei vielmehr Repräsentant der Herrschaftsverhältnisse. Gerade deswegen sei auch der Aufstieg der AfD nicht verwunderlich. Die Hoffnungen, dass der Parlamentarismus rechte Parteien zivilisiere, seien unbegründet. Dies könne man sowohl an der AfD, als auch am Beispiel der FPÖ in Österreich sehen. »Die Emanzipation hat im Parlament immer ein Auswärtsspiel«, so Giolan. Um autoritären Tendenzen entgegenzuwirken, brauche es daher immer eine starke Gegenmacht, die sich nicht nur aufs Parlament verlassen dürfe, sondern sich auf soziale Bewegungen stützen müsse. Außerparlamentarische Bündnisse seien hier notwendig.

Doch an dieser Stelle widersprach der »Elder Statesman« Ebermann dem radikalen Linken. Aus seiner Erfahrung bei den Grünen wisse er, dass ein Mitwirken lediglich der Aufrechterhaltung der Verhältnisse diene. Ebermann folge daher der negativistischen Staats- und Institutionenkritik Agnolis. Es bringe nichts, wie er TOP B3rlin vorwarf, auf der einen Seite breite Bündnisse zu schmieden und »mit Sozialdemokraten für ein buntes Deutschland zu demonstrieren« und dies auf der anderen Seite mit »verbalradikalen« Aufrufen wieder gut machen zu wollen. Vielmehr müsse dieser »Selbstbetrug« aufgedeckt werden.

Giolan entgegnete darauf, Agnoli dürfe jedoch auch nicht zur Identitätsbestätigung für eine radikale Linke werden, die sich aus allem Streit der Welt heraushalten will. Man müsse sich durchaus einmischen.

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