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Filme machen Mut

Mit STEPS die Welt verändern

  • Katrin Steinitz, Weltfriedensdienst
  • Lesedauer: 6 Min.
Mariam mit ihrem Baby bei der Ausbildung zur Moderatorin.
Mariam mit ihrem Baby bei der Ausbildung zur Moderatorin.

Wann fängt der Film an? In der Grundschule Ngolowindo in Salima, Malawi, warten Schülerinnen, Schüler und Erwachsene in einem kahlen Klassenraum darauf, dass die Filmvorführung beginnt. Draußen hat sich eine Traube von Kindern versammelt und hofft, durch die Fenster einen Blick auf die Leinwand zu erhaschen.

Der Film »A Mother at 15« - Eine Mutter mit 15 - beginnt jeden Moment. Es ist die Geschichte von Mariam aus dem malawischen Dorf Mmanga. Sie hat sich an den Rat ihrer Freundinnen gehalten: »Wenn du arm bist, such dir einen Mann. Der kümmert sich um dich.« So wurde Mariam bereits mit 14 schwanger. Der Vater des Kindes machte sich auf und davon, als sie im dritten Monat war. Vor der Entbindung musste sie die Schule abbrechen. Was sie seitdem bei Gelegenheitsarbeiten verdiente, reichte nicht mal, um Seife für ihr Kind zu kaufen. Immerhin wurde sie nicht verstoßen. Ihre Mutter teilte das Wenige, was sie hatte, auch mit dem neuen Familienmitglied. Aber ein Ausweg war das nicht. Wie sollte Mariam künftig für sich und ihr Kind sorgen?

Kamera statt Steine: STEPS will Menschen eine Stimme geben.

Doch als das STEPS-Filmteam sie bat, ihre Geschichte in einem Film zu erzählen, änderte sich alles. Sie interviewte den Gemeindevorsteher, ihre eigene Mutter und eine andere minderjährige Mutter. Das stärkte ihr Selbstvertrauen. Sie beschloss, wieder zur Schule zu gehen. Das partizipative Filmprojekt, das von der Partnerorganisation des Weltfriedensdienstes STEPS zusammen mit dem malawischen Partner SASO entwickelt wurde, verlieh Mariam eine Stimme. »Ich möchte, dass junge Mädchen wissen: Was mir passiert ist, muss ihnen nicht passieren!« Diesen Satz unterstreicht sie mit einem Lächeln, aus dem Hoffnung leuchtet.

Während des Films ist es still im Publikum, alle sind voll bei der Sache. Als der Abspann endet, beginnen Mariam und andere Moderatorinnen von STEPS ein Gespräch mit den Zuschauerinnen und Zuschauern über den Film. Es gibt viele Wortmeldungen. Fast alle möchten etwas kommentieren oder eine Frage stellen.

Ein Mädchen kennt Mariam aus ihrem Dorf. Sie reagiert sehr emotional, denn dieser Film betrifft auch sie. Viele Mädchen werden schwanger und brechen die Schule ab. Heirat scheint der einzige Weg aus der Armut, doch die meisten Mädchen werden bitter enttäuscht. Die Kindsväter sind selbst noch jung, gehen oft noch zur Schule oder haben diese abgebrochen, um nach Jobs zu suchen. Wie Mariam stehen diese jungen Mütter am Ende ganz ohne finanzielle Unterstützung da.

Ein anderes Mädchen im Publikum erzählt ihre eigene Geschichte, die sehr ähnlich klingt. Eine Mutter erklärt, dass sie schlicht nicht wusste, dass jugendliche Mütter überhaupt zurück in die Schule gehen dürften. Der Film hat ihr die Augen geöffnet, sie wolle gleich anderen Müttern erzählen, dass sie ihre Töchter wieder auf die Schule schicken können.

Während die jungen ZuschauerInnen noch lange nach Ende des Films diskutieren, sprechen wir mit einigen Erwachsenen im Publikum. Unter ihnen die Schulleiterin, ein Gesundheitshelfer und zahlreiche Mütter. Sie sind beeindruckt davon, wie die jungen ModeratorInnen die ZuschauerInnen dazu bewegen, offen über diese sensiblen Themen zu sprechen. Im Raum herrscht eine Atmosphäre des Vertrauens. Die Jugendlichen fühlen sich frei, zu sprechen. Sie teilen mit anderen die Erfahrung, wie es ist, stigmatisiert oder verurteilt zu werden. Der Gesundheitshelfer hat den Film auch im Gesundheitszentrum gezeigt. »Wir müssen mit den jungen Menschen offen über die Realität sprechen, wie in Mariams Film. Wir ermutigen sie, ins Gesundheitszentrum zu kommen - da bekommen sie Verhütungsmittel. Wir bieten aber auch HIV-Tests, Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten und Beratung bei der Familienplanung an.«

Die Schulleiterin erklärt: »Wir versuchen mit allen Mitteln, die Mädchen dazu zu ermutigen, in der Schule zu bleiben oder bald ihren Abschluss nachzuholen. Aber das kann nur gelingen, wenn auch das Umfeld die Mädchen dabei unterstützt.« Sie zeigt uns die aktuelle Liste der Jungen und Mädchen, die nicht mehr zur Schule kommen. Mit Hilfe der Mütter-Clubs und der Gemeindevorsteher versucht sie, jedem Fall nachzugehen. Wenn die Eltern sich dagegen sträuben, ihre Kinder zurück in die Schule zu lassen, werden sie gemeldet und sanktioniert. So ist es bereits gelungen, 48 junge Mütter wieder in die Schule zu holen. Eine von ihnen kann jetzt sogar an die weiterführende Schule wechseln.

Paul Duncan von SASO bestätigt: »Wir haben positive Veränderungen in den Schulen bemerkt, mit denen wir zusammenarbeiten.« Eine Schule berichtet von 200 Mädchen, die der Schule ferngeblieben waren. Als bei einer Filmvorführung deutlich wurde, dass die hohe Schulabbruchrate meistens mit Druck vom Elternhaus zusammenhing, organisierte STEPS ein Treffen aller Beteiligten. Ein halbes Jahr später berichtete die Schule, dass über 100 Mädchen zum Unterricht zurückgekehrt waren.

Nicht nur in Malawi identifizieren sich die Menschen mit Mariams Geschichte. Frühschwangerschaft, Kinderehe und Schulabbruch sind Themen, mit denen die gesamte Region zu kämpfen hat. Die Organisation hat mehrere lokale Sprachversionen erstellt und setzt den Film auch in Lesotho, Botswana, Uganda, Sambia und Simbabwe ein. Mittlerweile haben mehr als 10 000 Menschen an Filmvorführungen teilgenommen und Mariams Botschaft gehört. Eine Botschaft, die für viele eine neue Perspektive eröffnet.

Die MitarbeiterInnen von STEPS ermöglichen mit Unterstützung des Weltfriedensdienstes Menschen wie Mariam, ihre schwierige Lebenslage mit den Mitteln des Films zu reflektieren. Die Erfahrung, dass sie selbst etwas ändern können, teilen sie dann tausendfach mit Gleichaltrigen und machen ihnen Mut.

»Mein Ziel ist, dass junge Leute die Informationen, die wir ihnen bringen, nutzen, um ihr Leben zu verbessern. Afrika steht vor einer Reihe von Herausforderungen. Wir möchten, dass Leute erkennen, dass sie trotz alledem für sich und für ihre Gemeinschaft etwas tun können.« So bringt Elaine Maane, seit Jahren Koordinatorin und Trainerin bei STEPS, den Ansatz der Organisation auf den Punkt.

Anfangs verteilten die STEPS-MitarbeiterInnen Filme und Begleithefte an möglichst viele Organisationen und Institutionen. Dort verschwanden sie allerdings oftmals in den Schreibtischschubladen. In Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen im südlichen Afrika initiierte STEPS deshalb ein Trainingsprogramm für junge Menschen. Hier lernen sie, wie sie nach Filmvorführungen Diskussionen mit größeren Gruppen zu sensiblen Themen anleiten und ihnen Auswege aufzeigen.

STEPS erhält seither immer wieder Anfragen von Selbsthilfe- und anderen Gemeindegruppen. Dabei entstehen oft auch Ideen und Kontakte für neue Filme. Das Netzwerk von lokalen Unterstützergruppen zählt mittlerweile 1500 ModeratorInnen in allen Ländern des südlichen Afrika. Eine von ihnen ist Mariam.

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