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  • #Metoo-Debatte über Sexismus

Sexuelle Belästigung verstärkt im Niedriglohnsektor

Debatte verliert in den USA an Schwung / Linke Feministinnen melden sich zu Wort

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 3 Min.

Die jüngsten Twitter-Meldungen zum Thema sexuelle Gewalt unter dem Hashtag »Metoo« lassen internes Hickhack und Schlimmeres befürchten. Denn jetzt steht die 68-jährige Hollywood-Ikone Meryl Streep unter Beschuss. Aber nicht wegen sexueller Übergriffe, sondern wegen ihres »Schweigens« dazu. Den schweren Vorwurf der »Heuchelei« erhob am 16. Dezember die Schauspielerin Rose McGowan, die ihrerseits dem inzwischen geschassten Mogul Harvey Weinstein vorwirft, von ihm vergewaltigt worden zu sein. Ein gefundenes Fressen für die US-Medien, ist zu befürchten - nicht zuletzt weil im neuen Jahr in Hollywood Preisverleihungen bevorstehen.

So oder so ist »Metoo«, das Mitte Oktober als Reaktion auf die bekannt gewordenen sexuellen Übergriffe von Weinstein begonnen hatte, der Schwung ausgegangen. Auf der Webseite »The Daily Beast« hieß es am 17. Dezember dazu, in der Öffentlichkeit weiche die »gespannte Erwartung, welcher mächtige Mann als nächster abgesägt wird, langsam einem Achselzucken.« Das liege nicht nur an der kaum mehr überschaubaren Anzahl, sondern auch, dass die Enthüllungen offenbar keine Auswirkungen aufs wirkliche Leben haben. Darauf hatte als erste schon Anfang November die linke Feministin Barbara Ehrenreich hingewiesen. »Wenn wir über sexuelle Belästigung reden, dann dürfen wir nicht all die unterbezahlten Frauen vergessen, die mit dem Vermieter Sex haben müssen oder aus ihrer Wohnung geschmissen werden«, schrieb sie auf Twitter. Die Diskussion sei »klassistisch geprägt, zu viel über Schauspielerinnen und nicht genug über Hotelangestellte«.

Tatsächlich spielen die Zahlen über Belästigung und sexistische Gewalt am Arbeitsplatz in den Medien kaum eine Rolle. Laut einer Umfrage von Mitte November sind 60 Prozent der US-amerikanischen Frauen mindestens einmal sexuell belästigt worden, die große Mehrzahl davon am Arbeitsplatz. Vor wenigen Jahren ergab eine Regierungserhebung, dass jede fünfte US-Amerikanerin vergewaltigt wurde oder einen Vergewaltigungsversuch abwehrte. Die Wirtschaftsbranchen, in denen am meisten sexuell belästigt und vergewaltigt wird, sind offiziellen Zahlen zufolge die Gastronomie und das Hotelgewerbe, gefolgt vom Einzelhandel, von der verarbeitenden Industrie und vom Krankenwesen. Weit unten auf der Liste befinden sich die Medien- und Unterhaltungsbranchen.

Am meisten bedroht sind Feldarbeiterinnen, davon in der Mehrzahl Latinas, sowie Nachtarbeiterinnen wie Pförtnerinnen oder Krankenpersonal - dort also, wo die weiblichen Arbeitskräfte am wenigsten geschützt sind. Die Mehrzahl der von sexueller Belästigung und Gewalt Bedrohten arbeiten in Niedriglohnsektoren. Ein Paradebeispiel dafür sind Kellnerinnen, die auf das Trinkgeld der Kundschaft angewiesen sind, weil sie vom Besitzer weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt werden. Oft sehen die Restaurantbesitzer bewusst weg, wenn die männlichen Kunden die arbeitenden Frauen sexuell belästigen. Wenn sich eine Arbeiterin beschwert, gilt dies bei den meist nur mündlich vereinbarten Arbeitsregelungen als Kündigungsgrund: Sexismus als Disziplinierungsmaßnahme.

Auf der Webseite »Buzzfeed« hieß es, »das Problem ist nicht Sex, sondern Arbeit«. Es gehe am Arbeitsplatz nicht um sexuelles Verlangen, sondern um Machtausübung. Nicht Verführungslust, aufbrechende Prüderie oder psychosexuelle Defekte seien die Ursachen für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, sondern »tief sitzende wirtschaftliche, berufsspezifische und soziale Ungleichheit und Angst«. Viele Opfer berichteten, dies habe ihre Karrieren beendet, ihre Berufsaussichten zunichte gemacht und insgesamt zu ihrer Frustration auf dem Arbeitsmarkt beigetragen.

Anfang Dezember verlieh »Time« der »Metoo«-Kampagne das Prädikat »Person des Jahres«. Zwei Tage darauf veranstaltete das »National Womens Law Center« in Kalifornien eine hochkarätige Veranstaltung, um der diffusen Bewegung eine Orientierung zu geben. Dabei schlugen die Feministinnen gesetzliche und arbeitsplatzpolitische Initiativen vor.

Auch die linksliberale Wochenzeitschrift »The Nation« bemühte sich zur selben Zeit um Klärung. Die Journalistin Katha Pollitt äußerte die Befürchtung vor einem Rückschlag für die gesamte Kampagne, etwa wenn eine Frau, die einen Prominenten bezichtigt, der Lüge überführt wird oder widersprüchlich erscheint und sich daraus eine Medienkampagne entwickelt. Ansonsten schlug sie das vor, was linke Feministinnen seit Langem vorschlagen: »Gewerkschaften, fairere Verfahren, eine andere Erziehung von Jungs, eine Anti-Missbrauchskultur, viel mehr Frauen in Führungspositionen.«

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