Der Tatverdächtige, der kein Neonazi mehr sein soll

Tatverdächtiger Stephan K. erschlug vor 25 Jahren einen Seemann, der Hitler als »größten Verbrecher« bezeichnete

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Als es am Sonntag auf dem S-Bahnhof in Hamburg zu einer Explosion kommt, fließen die Informationen über den Vorfall zunächst nur spärlich. In einer erste Polizeimeldung vom späteren Sonntagnachmittag ist von einer »kleinen Detonation« die Rede. Es handele sich um einen »mutmaßlichen pyrotechnischen Gegenstand«. Durch die Explosion wurden mehrere Scheiben beschädigt, die Wartende auf dem Bahnsteig vor Wind und Wetter schützen sollen. Später meldete sich bei der Polizei zudem ein 68-Jähriger, der durch die Detonation ein Knalltrauma erlitten haben soll.

Später wird es in vielen Medienberichten und auch in einer Agenturmeldung der dpa heißen, bei dem Sprengsatz habe es sich um zwei »Polenböller« gehandelt, die in einer Plastiktüte verpackt waren. Der Begriff »Polenböller« bezieht sich auf Feuerwerkskörper, die in Deutschland aufgrund ihrer Sprengkraft nicht zugelassen sind und gerade in den Wochen vor dem Jahreswechsel oft auf unterschiedlichen Wegen aus dem Nachbarland Polen nach Deutschland gelangen. Ist von einem »Polenböller« die Rede, sagt dies allerdings längst nicht immer etwas über tatsächliche Herkunft des Sprengkörpers aus.

Im Fall der Explosion am S-Bahnhof Veddel scheint er ohnehin wenig angebracht zu sein. Derzeit prüft die Polizei, ob auf dem Bahnsteig gefundene Schrauben mit dem Sprengsatz in Verbindung stehen und es sich womöglich um eine Splitterbombe gehandelt haben könnte. Sicher ist: Der Sprengsatz enthielt ein Vielfaches an Schwarzpulver, was in Deutschland als Silvesterfeuerwerk durchgehen würde. Nach Informationen der Hamburger Morgenpost enthielten die zwei verwendeten Sprengkörper je 50 Gramm Schwarzpulver. Zum Vergleich: Ein hierzulande zugelassener Silvesterknaller bringt es maximal auf sechs Gramm der explosiven Mischung.

Doch nicht nur die offensichtliche Verharmlosung des eingesetzten Sprengsatzes wirft Fragen auf. Bereits am Montag nahm die Polizei einen 51 Jahre alten Tatverdächtigen fest, den die Beamten aufgrund von Aufnahmen aus einer Überwachungskamera in der Nähe des Harburger Polizeikommissariats wiedererkannten.

Hellhörig macht die Vorgeschichte des Tatverdächtigen: Bei ihm handelt es sich um Stephan K., der vor 25 Jahren am Busbahnhof in Buxtehude zusammen mit Stefan S. den 53-jährigen Kapitän Gustav Schneeclaus erschlug, weil dieser Adolf Hitler als »größten Verbrecher« bezeichnet hatte. K. und sein Mittäter prügelten so heftig auf ihr Opfer ein, dass dieses drei Tage später an seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus starb.

Der Anlass für die Tat verrät viel über die Täter: Sowohl Stephan K. als auch Stefan S. waren laut NDR Anfang der 90er Jahre in der Neonaziszene aktiv. Das Landgericht verurteilte beide Rechtsradikale wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft. Der Richter stellte damals fest: Sowohl K. als auch S. hätten nach ihrer Tat keinerlei Reue gezeigt.

Doch auch nach ihrer Entlassung setzten die beiden eine mehr als fragwürdige Karriere fort: Stefan S. engagierte sich später laut »Endstation Rechts« im verbotenen »Blood&Honour«-Netzwerk sowie als Organisator von Rechtsrock-Konzerten und betrieb zeitweise den rechten Szeneladen »Streetwear« in Tostedt.

Und Stephan K.? Über ihn heißt es laut Hamburger Staatsanwaltschaft, er sei in letzter Zeit nur noch wegen kleinerer Diebstähle aufgefallen. Laut »Hamburger Abendblatt« und »NDR« gehöre er aber nicht mehr wie in den 90er Jahren zur Neonaziszene, da er laut Polizei nun ohne festen Wohnsitz sei und »der Trinkerszene zugeordnet« werde. Warum sich deshalb etwas an seiner politischen Gesinnung geändert haben soll, bleibt allerdings unklar. Fast sämtliche Medien, die über die Explosion und Festnahme berichten, übernahmen allerdings die Sichtweise, bei Stephan K. handelte es sich um einen »Ex-Neonazi«.

»#Neonazi, der vor 25 Jahren Menschen totprügelte, mutiert zum «Ex-Neonazi» oder «Trinker», da er laut @PolizeiHamburg keine Rolle in Neonazi-Szene mehr spiele. Na dann. Verlasst euch drauf, dass deutsche Sicherheitsbehörden einen nächsten #NSU verhindern würden... #zynismusaus«, twitterte die LINKEN-Politikerin Katharina König-Preuss.

Auch antifaschistische Gruppen aus Hamburg sehen den bisherigen Umgang mit der Explosion und dem mutmaßlichen rechtsradikalen Täter kritisch. Am Freitag soll es eine Kundgebung und Demonstration am S-Bahnhof Veddel unter dem Motto »Rechten Terror und Rassismus bekämpfen!« geben.

»Wir verstehen diesen Anschlag als rechten Terror. Die Hamburger Polizei hingegen hat zunächst ein mögliches rassistisches und rechtes Tatmotiv nicht benannt und einen terroristischem Hintergrund bereits am Sonntag ausgeschlossen«, erklärt die Basisgruppe Antifaschismus Bremen in einer Mitteilung.

Da es sich bei Veddel und Wilhelmsburg um »migrantisch und alternativ geprägte Stadtteile« handelte, habe ein Sprengsatz an einem zentralen Verkehrsknotenpunkt zwischen diesen Stadtteilen »nicht nur das Ziel, die hier lebenden Menschen zu verletzen, sondern darüber hinaus ein Bedrohungsszenario und Angst zu schaffen.«

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