»Sieg für die Katalanische Republik«

Separatistisches Lager hält absolute Mehrheit / unionistische Ciutadans werden stärkste Fraktion

  • Ralf Streck, Barcelona
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Wahlabend war der zivilgesellschaftliche Katalanische Nationalkongress (ANC) in einer ehemaligen Werft in Barcelona versammelt. Als gegen 23 Uhr klar wurde, dass die Mehrheit der drei Parteien der Unabhängigkeitsbewegung mit 70 Sitzen von den Wählern bestätigt worden ist, machten sich Jubel und Feierstimmung breit.

»Freiheit für die politischen Gefangenen« wurde skandiert, denn auch der bisherige Chef der großen zivilgesellschaftlichen Organisation ist inhaftiert. Jordi Sànchez kandidierte aus dem Knast auf Platz zwei auf der Liste von Carles Puigdemonts Junts per Catalunya (JxCat). »Wir haben gegen den Angriff aus der Luft, dem Meer und dem Boden standgehalten«, erklärte das ANC-Mitglied Mariona. Sie sprach vom »riesigen Erfolg« und spielte auf Drohungen der spanischen Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal an, die immer wieder mit Militär droht, um die Einheit Spaniens zu verteidigen. Skandiert wurde auch »Unabhängigkeit, Unabhängigkeit«. Die Rückkehr des »legitimen Präsidenten« aus dem belgischen Exil wurde gefordert: »Puigdemont Präsident«, wurde er gefeiert, als er gegen Mitternacht in Brüssel vor die Presse getreten ist.

Puigdemont und die vier Minister seiner »legitimen Regierung« strahlten. Sie hatten nicht erwartet, dass die JxCat und die ERC zusammen sogar gestärkt würden. Gegen alle Prognosen lag Puigdemonts JxCat mit 21,7 Prozent knapp vor der Republikanischen Linken (ERC). Die Traditionspartei der Unabhängigkeitsbewegung erreichte allerdings das beste Ergebnis seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975. »Das Rezept von Rajoy ist gescheitert«, war sich Puigdemont mit der stellvertretenden ERC-Chefin Marta Rovira einig. »Die Katalanische Republik«, die sie am 27. Oktober verkündet hatten, »hat die Monarchie und den Artikel 155 besiegt«, sagte Puigdemont.

Aus Brüssel bot Puigdemomt am Freitag Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy einen Dialog »irgendwo in Europa« an, allerdings nicht in Spanien, um eine Lösung zu suchen. Spanien und die Europäische Union müssten begreifen, dass ein anderer Weg eingeschlagen werden müsse; er forderte ein abgestimmtes Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild.

In Spanien besteht weiter Haftbefehl gegen Puigdemont. Der müsse zurückgezogen werden, um eine Rückkehr zu ermöglichen. »Es gibt keine Handhabe«, sagte er mit Blick darauf, dass Spanien die europäischen Haftbefehle zurückgezogen hat, bevor Belgien sie mit größter Wahrscheinlichkeit abgelehnt hätte. Die Vorwürfe Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung - weil öffentliche Gelder für das verbotene Plebiszit eingesetzt wurden - sind offensichtlich außerhalb Spaniens unhaltbar.

Klar ist, dass es auch mit der erhöhten Wahlbeteiligung der rechten Volkspartei (PP), der marktliberalen Ciutadans/Ciudadanos (Bürger) und der katalanischen Sektion der spanischen Sozialdemokraten (PSC) nicht gelungen ist, den Unabhängigkeitsparteien die absolute Mehrheit zu entreißen. Die Wahlbeteiligung stieg auf knapp 82 Prozent und lag noch vier Prozentpunkte über dem bisherigen Rekord bei den Wahlen 2015.

Die drei Unabhängigkeitsparteien kamen mit knapp 48 Prozent fast genau auf das gleiche Ergebnis, das sie schon 2015 erreicht haben. Über 50 Prozent der Stimmen zu erhalten, was viele Anhänger der Bewegung erhofft hatten, gelang wiederum nicht. Obwohl der ERC-Spitzenkandidat Oriol Junqueras weiter im Gefängnis sitzt und Puigdemont nur aus dem fernen Exil am Wahlkampf teilnehmen konnte, gewannen die beiden Parteien erneut 100 000 Stimmen hinzu. 2015 waren sie auf einer gemeinsamen Liste angetreten. Statt 62 Sitze erhielten sie nun 66 und statt 39,5 Prozent nun 43 Prozent.

Puigdemonts JxCat und die ERC konnten von der Wahl unter »Nützlichkeitsaspekten« profitieren. Darunter besonders zu leiden hatte die linksradikale CUP mit ihrem Utopieüberschuss, die 3,7 Prozentpunkte und gleich sechs ihrer zehn Parlamentarier verloren hat. Allerdings kommt die Unabhängigkeitsbewegung mit den vier Sitzen der CUP wieder auf eine absolute Mehrheit von 70 Sitzen - zwei Sitze über dem Durst. Im Parlament geht ohne die CUP wie seit 2015 in Richtung Unabhängigkeit nichts. Das ist das zentrale Ziel der Antikapitalisten, die über diesen Weg die soziale Frage angehen wollen.

Besonders profilieren konnte sich die marktliberale Ciutadans/Ciudadanos (Bürger). Die erst 2005 gegründete Partei kannibalisierte die Stimmen von Rajoys rechter PP, die nur noch auf 4,2 Prozent kam. Doch es war ein bitterer »Wahlsieg« für Inés Arrimadas, der Spitzenkandidatin, mit der die Bürgerpartei auf 25,4 Prozent kam. Da sich in den großen Blöcken nur wenig bewegt hat, ist es ein Pyrrhussieg. Ihr einziger Bündnispartner, die PP, wird mit drei Sitzen zur schwächsten Kraft im neuen Parlament.

Einbußen musste die linke En Comú Podem (Gemeinsam können wir es) hinnehmen, die für das Selbstbestimmungsrecht eintritt, aber sich gegen die Unabhängigkeit ausspricht und gegen die Zwangsverwaltung Kataloniens durch Spanien über den Artikel 155. Diese Mittelposition kam nicht an. Die Sozialdemokraten der PSC, einst stärkste Kraft in Katalonien, legten auf 13,9 Prozent leicht zu und haben nun mit 17 einen Sitz mehr als bisher.

Nicht nur für En-Comú-Podem-Spitzenkandidat Xavier Domènech besteht die »Ausnahmesituation« weiter, auch wenn das Wahlergebnis zeige, dass die »repressive Politik« gescheitert ist. Die wird in Madrid aber fortgesetzt. Die Ermittlungen gegen katalanische Politiker am Obersten Gerichtshof werden ausweitet. Nun rücken auch Marta Rovira, die bisherige Galionsfigur der CUP Anna Gabriel und etliche andere linke Politiker ins Fadenkreuz der Justiz. Nach Befriedung des Katalonien-Konflikts sieht das nicht aus.

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