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  • Berlins Bildungssenatorin im Interview

Mir geht es nicht um Schönfärberei

Sandra Scheeres (SPD) will im kommenden Jahr Kita-Ausbau und Schulneubau vorantreiben

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 6 Min.

Frau Scheeres, haben Sie in diesem Jahr alles geschafft, was Sie sich vorgenommen haben?
Wir haben 2017 entscheidende Grundlagen für die zukünftige Entwicklung des Bildungsstandorts Berlin gelegt. Durch den Gebäudescan haben wir erstmals Transparenz darüber gewonnen, an welchen Schulen in welchen Bezirken wie viel Sanierungsbedarf besteht. Durch den Abschluss einer Rahmenvereinbarung werden rund 2500 Kitas besser finanziert. Die Strukturen für den Schulneubau stehen. Die Bezirke können sich darauf verlassen, dass sie bei dieser für die wachsende Stadt zentralen Aufgabe nicht alleine gelassen werden. Wir ziehen jetzt an einem Strang.

Sind die beschlossenen »Modellvorhaben zur Beschleunigung von Schulneubauten« (MOBS) ein Erfolgskonzept?
In jedem Fall. Mit den MOBS stellen wir sicher, dass wir zügig und unkompliziert im nächsten Jahr mit dem Neubau starten können.

Zur Person
Sandra Scheeres ist seit Dezember 2016 Bildungssenatorin in der rot-rot-grünen Koalition in Berlin. Zuvor war sie bereits fünf Jahre lang Senatorin für Jugend, Bildung und Wissenschaft. Seit 1993 ist sie Mitglied der SPD. Scheeres absolvierte eine Ausbildung zur Erzieherin und studierte im Anschluss Pädagogik an der Universität Düsseldorf. Sie hat einen Abschluss als Diplom-Pädagogin. Über die Entwicklung der Bildungspolitik in diesem Jahr sowie Herausforderungen und Ziele für 2018 sprach mit der 47-Jährigen für »nd« Jérôme Lombard.

Zum Start dieses Schuljahres konnte Berlin fast alle seine Lehrerstellen besetzen. Allerdings sind etwa 1200 der 3000 neu eingestellten Lehrkräfte Quereinsteiger aus anderen Berufen. Was wollen Sie tun, um die Versäumnisse bei der Lehrerausbildung auszubügeln?
Wir stehen heute vor einer ganz anderen Situation als noch vor ein paar Jahren. In meinem ersten Jahr als Senatorin 2011 hatte ich es mit sinkenden Schülerzahlen zu tun. Heute müssen wir mit stark wachsenden Zahlen zurecht kommen. Bundesweit wurden zu wenige Lehrkräfte ausgebildet. Berlin hat nachgesteuert, indem wir neue Werbemaßnahmen aufgelegt und die Universitäten ihre Kapazitäten in den Lehramtsstudiengängen ausgebaut haben. Aber ein Studium dauert bekanntlich seine Zeit. In den kommenden Jahren werden wir die Zahlen der Quereinsteiger in den Lehrkräfteberuf nicht reduzieren können.

Die Schulen sehen das auch nicht nur negativ. Quereinsteiger sind Menschen mit Hochschulabschluss, die sich bewusst für einen Berufswechsel entschieden haben. Viele waren schon als Vertretungslehrkraft tätig und bringen Berufs- und Lebenserfahrung mit. Wichtig ist, die Quereinsteiger nicht alleine zu lassen, sondern ihnen Hilfestellungen zu geben und pädagogische Fortbildungsmöglichkeiten zu ermöglichen.

Der Senat hat den Ausbau der Schulinfrastruktur zur Priorität gemacht. In den nächsten zehn Jahren sollen 5,5 Milliarden Euro investiert werden. Bis 2021 ist der Bau von über 50 neuen Schulen angedacht. Wird denn 2018 alles nach Plan laufen?
Ich bin zuversichtlich, dass wir die für das nächste Jahr gesteckten Ziele einhalten werden. Dass wir das MOBS-Programm so rasch auf die Beine stellen konnten, hat verdeutlicht, wie gut die Zusammenarbeit mit dem Stadtentwicklungssenat inzwischen funktioniert. Die Arbeit mit Senatorin Katrin Lompscher (LINKE) läuft unkompliziert, wir sind beide Pragmatikerinnen. Sicherlich wird es an der einen oder anderen Stelle auch mal knirschen, aber das ist normal und wird das Projekt nicht gefährden. Die ersten Spatenstiche erfolgen 2018, und ich hoffe, dass die erste Schule bereits 2019 ans Netz gehen kann.

Eine Tochtergesellschaft der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge soll für die großen Sanierungs- und Neubauprojekte zuständig sein. Für Sanierungsmaßnahmen bis 5,5 Millionen Euro sind die Bezirke verantwortlich. Bei Vorhaben zwischen 5,5 und 10 Millionen Euro können die Bezirke selbst entscheiden, ob sie die Zuständigkeit abgeben. Ist diese Organisationsstruktur tragfähig?
Das wird sich in der Zukunft zeigen. Es ist aber schon ein riesiger Schritt, dass wir uns auf eine gemeinsame Organisationsstruktur verständigen konnten. Alle vier Wochen kommt eine Task Force zusammen, welche die anfallenden Probleme diskutiert und schnellstmöglich Lösungen entwickelt. Ich denke, dass diese ressortübergreifende Arbeitseinheit für eine möglichst reibungslose und erfolgreiche Zusammenarbeit ganz entscheidend ist.

Aus den Bezirken war Kritik laut geworden, dass der Senat zu viele Kompetenzen an sich reiße. Konnten die Verstimmungen behoben werden?
Ich nehme aktuell keine Verstimmungen wahr. Der Senat und die Bezirke arbeiten sehr eng und partnerschaftlich zusammen. Unsere neue gemeinsame Struktur ist sinnvoll, um Synergien herzustellen. Es stimmt, dass die Bezirke das von uns vorgeschlagene Modell zur Gründung von GmbHs zum Schulneubau abgelehnt haben. Hier sind aber keine Türen zugeschlagen worden, denn die Bezirke haben das neue Konzept grundsätzlich unterstützt. Wir werden sehen, wie das kooperative Modell funktioniert.

Nachdem Brandenburg beschlossen hatte, seine Grundschullehrer zukünftig nach Tarifstufe E13/A13 zu bezahlen, sind Sie nachgezogen. Ab August 2018 soll auch in Berlin besser bezahlt werden. Müssen sich die Pädagogen beim Nachbarbundesland bedanken?
Ohne Berlin hätte sich in Brandenburg und auch in anderen Bundesländern nichts bewegt. Als erstes Bundesland hat Berlin die Tarifstufe E13 für Lehrkräfte eingeführt. Ich halte es für zeitgemäß, dass die verschiedenen Berufsgruppen gleich entlohnt werden. Die Lehrergewerkschaft GEW hat mit der Finanzverwaltung ein Qualifizierungsmodell zur Anhebung der Gehälter vereinbart. Brandenburg hat mit seiner Neuregelung der Tarifstufen über das Landesbesoldungsgesetzt einen alternativen Weg eingeschlagen, dem ich mich gerne anschließen würde. Deshalb habe ich den Finanzsenator gebeten, dies umgehend rechtlich zu prüfen.

Schulleiter haben Ihnen vorgeworfen, dass Sie »unsouverän« mit Kritik umgingen. Konkret ging es um eine Pressemitteilung, in der Sie die Schulleitungen aufgefordert haben, den Zustand ihrer Schulen in der Öffentlichkeit nicht schlecht zu machen. Was wollten Sie mit diesem Schreiben erreichen?
Eine Bildungssenatorin, die nicht mit Kritik umgehen kann, würde hier keine drei Monate überleben. Das ist also absoluter Unsinn. Übrigens gibt es kein Schreiben, sondern einen Newsletter für Schulleitungen, in dem ich regelmäßig Position beziehe. Mir ging es um die Haltungsfrage von Führungskräften - und das sind unsere Schulleitungen. Es kann nicht sein, dass Lohnauseinandersetzungen oder Sanierungsstreitigkeiten auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler sowie Eltern ausgetragen werden. Die meisten Schulleitungen leisten eine hoch qualifizierte Arbeit, aber - wie überall - gibt es eben auch wenige andere. Mir ist wichtig, dass Schulleitungen wissen, welche bildungspolitischen Positionen ich habe. Mir geht es nicht um Schönfärberei, sondern um die klare Benennung von Problemen. Es besteht kein Zweifel, dass an vielen Schulen viel saniert werden muss.

Zwei Drittel der Berliner gaben bei einer Umfrage an, mit der Arbeit des rot-rot-grünen Senats unzufrieden zu sein. Welchen Beitrag wollen Sie 2018 leisten, um aus dem Umfragetief herauszukommen?
Ich werde meine für Berlin wichtigen Themen weiter voranbringen. Wichtig ist, schnell Ergebnisse vorzuweisen, damit die Leute auch sehen, dass wir etwas tun. Im kommenden Jahr werden wir den Schulbaufahrplan veröffentlichen, den wir kontinuierlich fortschreiben werden. Dann können Schulen und Eltern sehen, wo, wann und durch wen saniert und gebaut wird. Wir haben bereits Einiges erreicht und Vieles auf den Weg gebracht, dürfen hier aber nicht stehen bleiben. 2018 werde ich mich weiter für den Kita-Ausbau einsetzen und die Inklusion voranbringen.

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