Buntes Generationentreffen auf dem Eis

Für Alteingesessene gehört eine Tour auf der »Semkenfahrt« am Ostrand der Hansestadt Bremen zu jedem anständigen Winter

  • A. Cäcilie Bachmann, Bremen
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bremer genießen den Vorteil einer schmalen, langgestreckten Stadt mit kurzen Wegen bis zu landschaftlich ansprechenden Randgebieten. Besonders im Winter wird es am nord-westlichen Rand, dem Blockland, geradezu großartig, sobald die Temperaturen auch nur leicht unter null Grad Celsius liegen.

Wie der größte Teil des Grenzlandes zu Niedersachsen ist das Blockland geprägt von Wiesen und Weiden, vielen kleinen Kanälen, Deichen, Bächen und Flüssen, wie etwa der Wümme. Die ist in den zurückliegenden Jahren kaum zugefroren. Aber das sie umgebende Grünland wird jedes Jahr ab Ende November vom Bremer Eisverein geflutet, bis das Wasser 20 Zentimeter hoch steht. Das reicht aus für eine robuste Eisdecke, braucht aber keine besonders tiefen Temperaturen zum Zufrieren. Am Stadtrand, wo die Wümme-Niederungen weder von Lichtquellen noch Wärme abstrahlender Bebauung oder Fahrzeugen beeinflusst werden, gibt es häufig früh im Jahr Bodenfrost, Grundlage für eine gepflegte Eisdecke. In guten Jahren wird daraus eine rund 30 Hektar große Natureisfläche von feinster Qualität, nicht stumpf und frei von Unebenheiten. Kernstück ist die »Semkenfahrt« genannte Eisbahn, die rund drei Kilometer entlang der Wümme verläuft.

Von den Bremern, die sich im Falle des Falles auf dem Eis tummeln, schwärmen die Älteren noch von endlosen Schlittschuhtouren nicht nur auf der »Semkenfahrt«, sondern auch auf der Wümme und deren Nebenarmen. Die Jüngeren sind schon vollkommen begeistert von dem, was die jetzt noch vorhandene Natureisfläche an Möglichkeiten bietet: neben Eislaufen auch Hockey in allen nur erdenklichen Varianten. Oder sich auf dem Schlitten ziehen lassen. Oder - typisch Bremen - zu versuchen, auf dem Eis Fahrrad zu fahren. Auch die Anreise zum dezentral gelegenen Eis-Vergnügen wird meist bremisch erledigt: Nicht wenige kommen mit dem Fahrrad plus Anhänger für kleinere Kinder, Thermoskannen und Proviant. Wer mit dem Auto kommt, hat ein gutes Stück Fußweg vor sich, weil in direkter Nähe zur Eisfläche nicht geparkt werden darf, um keine Rettungswege zu verstopfen. Viele Schlittschuhfans nehmen den normalen Linienbus, der eine reguläre Haltestelle in der Nähe eines beliebten »Eiseingangs« hat, bei dem es manchmal auch einen Heißgetränke-Verkauf gibt. Richtiger Budenzauber ist aber nicht angesagt, es geht um Bewegung in der freien Weite, um schlichten Flachland-Wintersport. Der heutige Bremer Eisverein, dessen Vereinsziel es ist, die Bremer Tradition des Schlittschuhlaufens zu fördern, hat zwei Vorläufer, deren Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert reichen. Der Verein besteht seit gut 60 Jahren, seit rund 50 Jahren organisiert er die Flutung der Wümme-Wiesen und stellt die fertige Eislandschaft der Bevölkerung kostenlos zur Verfügung. Aber der Verein ist nicht puristisch streng, es geht ums Schlittschuhlaufen im Allgemeinen. Auch kommerzielle Eislaufhallen mit lauter Musik und Discokugel unterm Dach sind nicht verpönt, sondern gelten als Partner.

Für Alteingesessene gehört eine Tour auf der »Semkenfahrt« zu jedem anständigen Winter. So sind Männer und Frauen auf dem Eis anzutreffen, mit Schlittschuhen oder ohne, die mit 90 Jahren im Winter gern noch das tun, was sie seit ihrer Kindheit taten: eislaufen. Und sie behaupten, es gebe kein besseres Lebenselixier, als unter wolkenlosem Himmel in der Wintersonne übers Eis zu spazieren oder zu gleiten. Man sollte am besten als Kleinkind beginnen und kein Jahr auslassen.

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