nd-aktuell.de / 03.01.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 16

Kampf gegen Preisaufschläge und Netzabzocke

Das Bundeskartellamt hat weitreichende Befugnisse und liegt auch schon mal mit dem Dienstherrn im Clinch

Rolf Schraa, Bonn

Als Anfang 1958 das Bundeskartellamt in Berlin seine Arbeit aufnahm, hatten die Macher die Zwangskartelle des NS-Staats noch in frischer Erinnerung. Auch auf Druck der Besatzungsmächte ging es um die Entflechtung deutscher Schlüsselbranchen wie Stahl, Zement und Papier. Heute arbeitet die Behörde näher am Verbraucher - neuerdings mit Schwerpunkt auf Wettbewerbs- und Kundenschutz im Internet. Der offizielle Festakt zum 60-jährigen Bestehen ist für den 22. Februar in Bonn geplant.

Das Kartellamt hilft mit einer Transparenzstelle beim Benzinpreisvergleich, nimmt Bier-, Zucker- und Kaffeepreise unter die Lupe, überprüft den Lebensmittelhandel, Milchpreise und die Fernwärmeversorgung, kämpft gegen Abzocke und Datenklau im Internet - wie mit einer Untersuchung des sozialen Netzwerks Facebook. Davon profitiert der Verbraucher: Allein zwischen 2009 und 2014 liege der Verbrauchernutzen bei mindestens 2,75 Milliarden Euro - etwa beim Hundertfachen des jährlichen Amtsetats, heißt es in einer Informationsbroschüre der Behörde. Im Mittel führten illegale Kartellabsprachen nämlich zu um etwa 15 Prozent überhöhten Preisen.

Die Gründung der Behörde wäre wohl kaum ohne Ludwig Erhard, den »Vater des Wirtschaftswunders«, denkbar. Er setzte in jahrelangem politischen Kampf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch, Grundlage der Behördenarbeit bis heute. Damals opponierte die Indus-trie heftig, weil sie Absprachen in Einzelbranchen für unersetzlich hielt. Nach Schätzungen gab es in Deutschland 1930 noch mehr als 2000 solcher Kartelle. Längst hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass Absprachen den Kunden schaden und auf Dauer auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen beeinträchtigen können.

Ohne Kartellbehörden gäbe es deutlich weniger Konkurrenz in der Wirtschaft - und damit weniger Innovation, betont Kartellamtschef Andreas Mundt. Sein Lieblingsbeispiel: Solange Microsoft mit seinem Browser »Internet Explorer« praktisch alleine am Markt war, gab es in fünf Jahren kein einziges Update. Als der Konkurrent Mozilla Firefox angriff, änderte sich das sofort.

Die Behörde kann zum Schutz des Wettbewerbs Firmenzusammenschlüsse verbieten, in Verdachtsfällen mit weiten Befugnissen durchsuchen und bei Verstößen empfindliche Bußgelder verhängen. Seit der Einführung einer Kronzeugenregelung im Jahr 2000 hat sich die Kartellverfolgung noch verstärkt. Im Rekordjahr 2014 wurden mehr als eine Milliarde Euro Bußgelder verhängt - unter anderem gegen Brauereien, die Bier-Preiserhöhungen abgesprochen hatten. Verbraucher mussten dadurch je Kasten einen Euro zu viel bezahlen.

Über 40 Jahre lang war Berlin der Sitz des Amts, 1999 zog es um nach Bonn. Das sieht die Behörde, die dem Wirtschaftsministerium untersteht, aber selbstständig arbeitet, als Ausdruck ihrer Unabhängigkeit. Dass Bund und Kartellamt nicht immer einer Meinung sind, zeigte sich etwa bei dem behördlichen Verbot der Kaiser’s-Übernahme durch Edeka im Frühjahr 2015, das der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit einer Ministererlaubnis außer Kraft setzte, letztlich damit aber nicht durchkam.

Heute sieht die Behörde als eine ihrer Hauptaufgaben die Hilfe für die Verbraucher im Internet an - gegen Abzocke und Datenklau. Das zeigt sich etwa in dem Facebook-Verfahren oder auch bei einer aktuellen Sektoruntersuchung zu modernen Smart-TVs. Datenschützer beäugen die Fernseher misstrauisch, weil sie eine Vielzahl von Kundendaten erfassen.

Die Kartellwächter können neuerdings ganze Branchen untersuchen, wenn es Hinweise auf Benachteiligung von Verbrauchern gibt, und vor Gericht mit ihrem Fachwissen Stellungnahmen abgeben. Die Bußgelder schwanken von Jahr zu Jahr: 2016 waren es knapp 125 Millionen, 2017 rund 60 Millionen Euro gegen 16 Unternehmen und 11 Manager.

Ein neues »scharfes Schwert« droht Kartellsündern nach Mundts Worten ab 2020: Dann werden gravierende Verstöße in ein Wettbewerbsregister eingetragen und betroffene Firmen für mehrere Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen. dpa/nd