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  • Filmemacherin Agnieszka Holland

Kino wird zur Flucht aus der nationalistischen Realität

Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland im Gespräch über die Rolle der Frauen in der Politik und zunehmenden Hass in Polen

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 3 Min.

Ist die Zeit reif, dass Frauen die Macht erringen?

Die Zeit dafür ist reif. Positive Veränderungen werden künftig von Frauen oder ihrem Standpunkt ausgehen. Männer haben die Demokratien nach ihren Vorstellungen geprägt und Frauen lange von der Macht ausgeschlossen. Wenn Rechte für Frauen, Homosexuelle und Tiere eingefordert werden, reagieren die Männer oft defensiv und aggressiv. Sie fühlen sich abgehängt, es geht ihnen einfach zu schnell.

Agnieszka Holland

Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland ist Präsidentin der Europäischen Filmakademie. 1948 in Warschau geboren, ging sie bei Krzysztof Zanussi und Andrzej Wajda in die Lehre. Kurz vor der Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981 emigrierte Holland nach Paris. Sie inszenierte mit „Hitlerjunge Salomon“ und „In Darkness“ zwei Filme über den Holocaust, aber auch Teile der Fernsehserien „The Wire“ und „House of Cards“. Bei der Berlinale 2017 gewann sie den Alfred-Bauer-Preis für „Die Spur“.

Warum sollten Frauen gesellschaftliche Probleme besser lösen?

Ich will nicht behaupten, dass Frauen besser sind als Männer. Sie haben nur grundlegend verschiedene Ansätze in ihrer Herangehensweise an die Gestaltung der Gesellschaft. Die weibliche Perspektive ist meist weiser, sie geht über den Tag hinaus. Frauen scheren sich um das Wohlbefinden ihrer Kinder. Der Mann schützt, was er jetzt besitzt. Frauen reagieren sensibler auf Missstände. Daher setzen sie sich für jene ein, die sprachlos und gebrochen sind. Die Frauen in meinen Filmen folgen oft der Mission, ihre Mitmenschen auf Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen.

Sie wurden für Ihren aktuellen Film »Die Spur« in Polen angefeindet. Der Vorwurf lautet, der Film sei antichristlich. Sie wurden als jüdische, kommunistische Ratte verunglimpft. Haben Sie Angst?

Nein, ich bin nicht so leicht zu erschrecken. Aber es ist nicht angenehm. Mir sind weder die Ursachen für den Hass auf die liberalen Freiheiten noch der polnische Patriotismus verständlich, der das Land für das beste aller Länder hält. Noch weniger verstehe ich den Hass gegenüber den wenigen Juden im Land. Ich hasse ja auch keinen.

Werden der Antisemitismus und Nationalismus nicht nur in Polen stärker?

Europa weiß keine Antwort auf die Zuwanderung. Sie beflügelt populistische Bewegungen, sie ist aber nicht deren Ursache. Die Eliten wurden narzisstisch und korrupt. Die Politiker haben sich an der Macht berauscht und die wirklichen Probleme beiseite geschoben. Dieses Vakuum haben die Populisten genutzt. Donald Trump und Jaroslaw Kaczynski haben die richtigen Fragen gestellt – ihre Lösungen sind katastrophal. Sie spalten die Nationen und die Gesellschaft. Sie spielen ihre Macht hemmungslos aus, was Aggression erhöht und mental dem Faschismus den Weg bereiten kann.

Was können Filmemacher tun?

Bildlich gesprochen sind Filmemacher Terroristen. Ich selbst bin eine Kämpferin. Ich mache Filme, bei denen die Menschen nicht aus der Wirklichkeit entfliehen können. Ich provoziere, lote Grenzen aus und überschreite sie. So dass die Menschen meine Vision mit ihrem Leben abgleichen können. Für mich ist das ein Ausdruck von Freiheit.

Leider ist in den vergangenen Jahren in Polen zu beobachten, dass jede Aussage zum politischen Statement wird. »Ida« von Pawel Pawlikowski, Oscar-Gewinner und der größte Erfolg der jüngeren polnischen Filmgeschichte, wurde als antipolnisch verunglimpft und wird nicht im Fernsehen gezeigt. Und auch das Publikum hat sich verändert. Für sie ist das Kino vor allem eine Flucht vor der Realität.

Der Film »Die Spur« von Agnieszka Holland (Deutschland, Polen, Schweden, Slowakei, Tschechien, 2017) läuft seit dem 4. Januar in den deutschen Kinos.

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