nd-aktuell.de / 05.01.2018 / Sport / Seite 19

Wie macht sie das bloß?

Die internationale Biathlonkonkurrenz rätselt, wie es Anastasiya Kuzmina schafft, immer in den Olympiawintern zu Höchstform aufzulaufen

Oliver Kern, Oberhof

Die deutsche Biathletin Vanessa Hinz wollte ausdrücklich betonen, dass sie sich sonst immer nur auf sich selbst konzentriere. Auf ihre slowakische Kontrahentin Anastasiya Kuzmina angesprochen entfuhr ihr dann aber doch: »Ich möchte echt wissen, was sie frühstückt.« Diese Frage nach dem Erfolgsrezept beschäftigt nicht nur die Münchnerin. Das internationale Biathlonfeld stellt sie jeden vierten Winter neu. Trainer sprechen gern von »olympischen Zyklen«: Alle vier Jahre soll die Höchstform erreicht werden, wenn es zu den Spielen geht. Und wenn es eine gibt, die das perfekt beherrscht, ist es Kuzmina.

Vor genau zwölf Jahren feierte die aus der sibirischen Stadt Tjumen stammende 33-Jährige in Oberhof ihr Weltcupdebüt. Am Donnerstag gewann sie erstmals ein Rennen im Thüringer Wald. Es war insgesamt ihr zehnter Sieg - gut, wenn auch nicht herausragend. Sieben dieser Erfolge fielen jedoch in einen Olympiawinter, und zwei waren Olympiasiege: In den Sprints von Vancouver 2010 und Sotschi 2014 bezwang sie jeweils unerwartet die damaligen Favoritinnen Magdalena Neuner sowie Darja Domratschewa aus Belarus. Sollte sie im Februar in Pyeongchang das Triple schaffen, wäre es diesmal zumindest nicht mehr überraschend. Der Sieg von Oberhof war bereits ihr dritter in der laufenden Saison.

Zu ihrem olympischen Formaufbau befragt, gibt Kuzmina keine Frühstücksrezepte heraus: »Da gibt es kein spezielles Geheimnis. Es ist viel harte Arbeit und gute Planung schon vor dem Winter«, sagt sie. »Meine jetzige Form muss auch nicht bedeuten, dass ich sie bis zu den Spielen halten kann. Das wird selbst für mich interessant. Aber bis dahin genieße ich jeden Tag, an dem es so gut läuft.«

Kuzmina kehrte im vergangenen Winter wie Domratschewa nach einer Babypause zurück. Im Sommer 2015 war ihr zweites Kind zur Welt gekommen, und sechs Monate später begann die junge Mutter wieder mit dem Training. Weil die kleine Olivia noch lange gestillt werden wollte, war der Weltcupalltag mit Töchterchen im Tross vergangene Saison aber recht stressig, erinnert sich die Weltcupführende. »Jetzt bin ich nur noch mit meinem Mann und meinem Team unterwegs. Die Großeltern passen auf meine Tochter auf. Ich vermisse sie zwar sehr, aber wenn ich erfolgreich sein will, muss ich mich komplett auf den Sport konzentrieren können«, sagt Kuzmina.

Aufgewachsen in Tjumen wechselte die als Anastasiya Schipulina geborene Russin nach ihrer Hochzeit 2008 ins slowakische Team. Ganz abgerissen sind die Verbindungen zur Heimat aber nie. Über Weihnachten trainierte sie jüngst mit den Russinnen und den Ukrainerinnen. »Das hat mir viel gebracht. Da konnte ich mich mal mit anderen schnellen Athletinnen im Training messen«, sagte Kuzmina. Die anderen Slowakinnen können nicht mit ihr mithalten. Und da der Rest ihrer Mannschaft erst in der kommenden Woche in Ruhpolding wieder ins Geschehen eingreifen wird, genießt Kuzmina in Oberhof auch die Unterstützung von russischen Teambetreuern. Selbst den kleinen Halteriemen am linken Oberarm, der die Stabilität des Gewehrs beim Liegendschießen erhöht, schmückt nicht etwa die slowakische sondern die russische Fahne. Ihre ehemaligen Teamkolleginnen würden sicher auch gern das Erfolgsrezept Kuzminas kennen. Die beste Russin am Donnerstag, Jekaterina Jurlowa, wurde 15. Keine andere kam unter die Top 30. Beste Deutsche war übrigens Franziska Hildebrand als Vierte.

Was auch immer die Schwester von Anton Schipulin nun frühstückt, die Konkurrentinnen können ihr nicht folgen. Im Sprint von Oberhof war sie die Schnellste in der Loipe, auch wenn der großen Athletin der tiefe Schnee eigentlich nicht zugute kommt. »Meine Ski waren sehr schnell«, versuchte sich Kuzmina an einer Erklärung. Sie schießt aber auch schneller und sicherer als andere starke Läuferinnen. Diesmal verfehlte Kuzmina nur ein Ziel und siegte so mit 35 Sekunden vor der Finnin Kaisa Mäkäräinen, die sich in die Schar der Ratlosen einreihte. »Sie war stark in Vancouver, sie war stark in Sotschi. Und jetzt ist sie wieder stark. Keine Ahnung, wie sie das macht. Sie ist eine schnelle Schützin, und wenn sie dann auch noch so gut läuft, ist es schwer, sie zu schlagen. Ich versuche es trotzdem weiter«, so Mäkäräinen.

Bei dem großen Vorsprung scheint Kuzminas nächster Sieg am Sonnabend in der Verfolgung aber programmiert. »Den großen Rückstand kann ich unmöglich nur durch schnelles Laufen aufholen«, prognostizierte Mäkäräinen, die also auf Schießfehler der Konkurrentin hoffen muss. Das ist bei den böigen Windbedingungen in Oberhof zwar immer möglich, doch anfälliger für Fehler sind in solchen Fällen eher Mäkäräinen und Co. Es droht also ein eher langweiliges Rennen an der Spitze. Und der Konkurrenz bleibt nur die Hoffnung darauf, dass Kuzminas Olympiaform diesmal doch etwas zu früh kam.