Den privaten Immobilienmarkt vergesellschaften

Von der Ware zur Wohnung: Thesen für eine wohnungspolitische Strategiedebatte

  • Interventionistische Linke Berlin
  • Lesedauer: 8 Min.

Worum es geht

Berlin hat Angst. Laut einer Umfrage befürchten 47 % der Berliner*innen, in den nächsten Jahren wegen Mietsteigerungen ihre Wohnung zu verlieren. Die Angst ist begründet, denn insbesondere seit der Finanzkrise 2008 ist Berlin zur Beute geworden - aus aller Welt flüchten Kapital und Investoren ins »Betongold«. Wurde deswegen anfangs noch gegen Hipster und Studierende geschimpft, so haben viele Menschen inzwischen begriffen, dass nicht andere Mieter*innen, sondern die Eigentümer*innen das Problem sind: Wohnraum als Ware, die Immobilie als Spekulationsobjekt sind Quellen unserer Angst. Wohnraum als Eigentum ist nur für wenige ein Gebrauchswert, den sie selber nutzen. Wer könnte auch 100 000 Wohnungen selber bewohnen - so viele besitzt die Deutsche Wohnen AG, Berlins größte Vermieterin. Für diese Firma und viele kleinere Vermieter*innen auch sind Wohnungen ein reiner Tauschwert, ein Spekulationsobjekt. Gegen sie, nicht gegen selbst genutztes Wohneigentum, richtet sich unser Kampf.

"Das Rote Berlin"

Das »Rote Wien« bezeichnet ein reformsozialistisches Projekt der Jahre 1919 bis 1934. Es zeigt, dass auch unter politisch und wirtschaftlich schwierigen Bedingungen Wohnungsnot gelindert und die soziale Infrastruktur verbessert werden kann – wenn der politische Wille da ist. So gingen damals allein 64 000 Sozialwohnungen mit hohen Standards auf das Konto der Wiener Sozialdemokraten.


Mit ihrer Broschüre »Das Rote Berlin – Strategien für eine Sozialistische Stadt« nimmt die Interventionistische Linke (IL) Berlin darauf Bezug. Ihr Ziel ist es, eine neue Strategiedebatte unter stadtpolitischen Initiativen anzuregen. Nebenstehender Text ist ein gekürzter Auszug aus der Broschüre, die am 24. Januar um 19.30 Uhr im Aquarium (neben Südblock), Skalitzer Str. 6 in Kreuzberg, vorgestellt wird. Dort diskutieren auch Kotti & Co, Katalin Gennburg (LINKE), Friedel 54 und die IL Berlin »Strategien gegen die Marktwirtschaft«.


Bereits am 10. Januar sprechen Sabine Horlitz (Stadtsoziologin, Berlin), Marie Schubenz (Mieterrat Neues Kreuzberger Zentrum) und die IL Berlin am gleichen Ort zur gleichen Zeit über das Thema »Darf ich auch mal was sagen? Demokratisierung und Neue Gemeinnützigkeit«.

Unser Ziel ist ein Ende der Wohnung als Ware - wir fordern die Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes. (...)

Wir schlagen als Ziel einen Dreischritt vor:

1. Den privaten Wohnungsmarkt zurückdrängen.

2. Wohnraum als Gemeingut ausbauen.

3. Die Verwaltung der bereits landeseigenen Wohnungen radikal demokratisieren.

Das Ergebnis wäre eine Vergesellschaftung - begriffen als Einheit von öffentlichem Eigentum und demokratischer Selbstverwaltung.

Was wir wollen

Unsere Vorstellung für eine sozialistische Wohnungspolitik in einem »Roten Berlin« beginnt mit der Kritik des Immobilienmarktes und des privaten Wohnungseigentums. Wohnungspolitik in (West-)Berlin und der BRD wollte diesen Markt durch öffentliches Eigentum ergänzen, meist auch private Investitionen durch öffentliches Geld locken. Insbesondere Letzteres hat in Berlin zur Herausbildung eines korrupten Filzes aus Bauwirtschaft und Politik geführt. Heute sitzt im Berliner Abgeordnetenhaus keine Partei, die diese Verfilzung von privater Immobilienwirtschaft und staatlicher Politik wirklich trennen will. Obwohl es Gegenmodelle gibt: Genossenschaften und auch kommunale Unternehmen zeigen, dass Wohnraumversorgung ohne Profitinteresse günstiger organisiert werden kann.

Ziel muss daher öffentliches und kollektives Eigentum an Wohnraum sein - doch Vergesellschaftung bedeutet für uns mehr als Verstaatlichung. Denn im neoliberalen Staat betreiben auch öffentliche Unternehmen wie die Degewo Renditeoptimierung, die Autokratie der Vorstände entzieht sich jeder Kontrolle. Vergesellschaftung bedeutet für uns deshalb Demokratisierung hin zur Selbstverwaltung.

Das wollen wir schrittweise umsetzen. Ein Vorbild ist dabei das »Rote Wien« der 1920er Jahre, ein anderes die sozialistischen Wohnungsbauprogramme im Berlin der Zwischenkriegszeit: die Britzer Hufeisensiedlung, der städtische Reformwohnungsbau - Berlin war einmal Pionier eines besseren Wohnungsbaus in öffentlicher Hand. Der private Markt blieb in Berlin und Wien zwar bestehen, zudem gab es Ausschlüsse und Zugangshürden bei den öffentlichen Wohnungsbeständen. Vieles ging nicht weit genug, die Aufbrüche wurden 1933/34 abgebrochen. Doch genau wie damals muss heute unser erstes Ziel sein, dass das private Immobilienkapital geschwächt wird.

Statt Förderungen für Private wollen wir daher Sand im Getriebe. Neue Steuern auf Immobiliengewinne und Grunderwerb, mehr Kündigungsschutz: Mieter*innenrechte müssen vor Eigentumsprivilegien stehen. Das Spekulieren mit Wohnraum soll erst unattraktiv und letztlich ganz unmöglich gemacht werden. Auch Enteignungen und Besetzungen von Leerstand sind kein Tabu - unsere Strategie will Kämpfe nicht befrieden, sondern zuspitzen. Vor allem soll die Verwertungsgrundlage des Geschäfts mit Wohnraum zerstört werden. Denn wenn Wohnraum als Investition unattraktiv wird, sinken die Preise. Hier kann es gar nicht genug Vorschriften, Regelungen, Steuern und Investitionshindernisse geben.

Wir haben dabei keine Angst vor einem Zusammenbruch der Immobilienpreise, sondern befürworten ihn. Ein Zusammenbruch der Spekulationsspirale, ein schlagartiges Sinken der Kaufpreise für Wohnungen und Häuser wird einige Immobilienfirmen und Investor*innen in die Pleite treiben. Die Zerstörung der Preisspirale im Immobiliengeschäft ist eine Voraussetzung für Rekommunalisierung als ersten Schritt hin zur Vergesellschaftung. Denn nur mit einem Ende der Spekulationspreise kann gekauft werden - das Land Berlin, aber auch Genossenschaften und Akteure wie das Mietshäusersyndikat werden nicht mehr durch Mondpreise behindert. Flankiert werden müssen die Aufkäufe durch Enteignungen insbesondere bei Zweckentfremdung, Mietwucher und spekulativem Leerstand. (...)

Die Veränderungsperspektive besteht aus weitertreibenden Reformen, die schrittweise den Handlungsspielraum des Immobilienkapitals einschränken, die Spielräume für kollektives und öffentliches Eigentum erweitern und durch Demokratisierung unsere Kampfbedingungen verbessern. Auch wenn wir dabei Forderungen an den Staat stellen, wissen wir, dass ein Mehr an Demokratie in der Geschichte immer von unten erkämpft wurde. Das wird auch heute der Fall sein. (...)

Wo anfangen?

1. Basiskämpfe

Die bisherigen Erfolge in Berlin wurden an der Basis erkämpft. Die Medien reagierten verhalten bis gar nicht auf Pamphlete aus der radikalen Linken, aber empathisch auf Proteste betroffener Mieter*innen und Einzelschicksale von Verdrängung und Wohnungsnot. Auch Parteien zeigten mitunter Interesse an solchen Fällen. Radikale Linke waren da erfolgreich, wo sie Allianzen eingegangen sind, etwa in der Initiative »Zwangsräumungen Verhindern« oder in der Friedelstraße 54, wo nicht nur Linke um ihren Kiezladen kämpften, sondern die Mieter*innen des Hauses Teil des Kampfes waren. (...)

Eine Herausforderung bleibt jedoch die Verbindung vom Kleinsten zum Großen. Oft stand beides nebeneinander. Auf autonomen Kiezversammlungen wurde nur über den Laden an der Ecke oder nur über die herrschaftsfreie Gesellschaft diskutiert. Die Strategie der weitertreibenden Forderung bedeutet jedoch, beides zu verbinden: Alltagsforderungen, Teilreformen und am Ende das Ziel der Entmachtung des Immobilienkapitals.

Wir müssen als radikale Linke im Sinne dieser Strategie immer wieder neu die Verbindung eingehen. Wir müssen Mieterinnen helfen, Versammlungen organisieren, Anstöße für Kiezgruppen geben, unser Wissen aus vergangenen Kämpfen weitergeben. Nur Hilfe zur Selbsthilfe bringt gesellschaftliche Bewegung. Dies ist Unterstützung, die nicht entmündigt und Passivität verstärkt.

2. Proteste Bündeln

Als Stadt-AG der Interventionistischen Linken haben wir lange versucht, gemeinsam mit anderen in Berlin ein übergreifendes Bündnis aller Kiezinitiativen und Mieter*innenproteste zu initiieren. Immer wieder gab es dazu gute Anfänge, aber nie die Kontinuität, die wir in Bündnissen wie dem »Forum Wohnungsnot« (2011), »Keine Rendite mit der Miete« (2012) oder »Berlin für Alle« (2016) angestrebt haben. (...)

Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass es in Berlin zumindest momentan weniger ein Riesenbündnis oder einen Runden Tisch zum Mietenprotest braucht, sondern stabile Netzwerke, stetigen Austausch und eine Kultur der Zusammenarbeit, damit die stadtpolitische Bewegung auch kurzfristig handlungsfähig ist und Forderungen stellen kann. Diese Strategie der informellen, netzwerkartigen Bündelung mag diffus sein, spart jedoch aufwendige Koordination. Gerade in Zeiten aufsteigender Protestdynamik funktioniert sie sehr gut. Sie braucht jedoch Anstöße für gemeinsame strategische Ziele. Das Rote Berlin will ein solcher Anstoß sein. (...)

3. Kampagnenarbeit

Der Protest ist da, Unmut über das Immobilienkapital hat breite Schichten erreicht, Organisierung findet statt. Schafft es die radikale Linke, sich durch Basisarbeit zu erneuern, ohne sich in den Kiezen zu verlieren, gewänne Kampagnenarbeit eine ganz neue Dimension. Gerade dort, wo langwierige und komplizierte lokale Kämpfe das große Ganze auch mal hinten anstellen müssen, kann eine breiter aufgestellte Kampagne wichtige Arbeit leisten. Das »Rote Berlin« will hier ein Impuls sein, eine Einladung zur Diskussion, wie sich große Ziele und kleine Schritte inhaltlich verbinden lassen.

4. Volksentscheide

Weil Militanz mit Illegalität gleichgesetzt wurde, hat die radikale Linke lange nicht nur Wahlen, sondern auch Volksentscheide ignoriert. Doch das bisher erfolgreichste Mittel der Berliner stadtpolitischen Bewegung war der Mietenvolksentscheid von 2015. Obwohl er befriedet und nur teilweise umgesetzt wurde, hat er das Selbstbewusstsein der Bewegung gestärkt und konkrete Verbesserungen gebracht. Grund dafür war die enorme Medienaufmerksamkeit durch die direkt gesetzgebende Wirkung des Entscheids. Trotz des eher passiven Mittels einer Unterschriftensammlung war der politische Druck sehr hoch. Viele der in diesem Papier aufgestellten Forderungen auf Landesebene sind im Prinzip per Volksentscheid umsetzbar, und ein Mietenvolksentscheid 2.0 und 3.0 sollten konkret diskutiert werden. Sie müssen jedoch anders als 2015 von einer breiteren Kampagne begleitet werden, die über den unmittelbaren Gesetzestext hinausgeht. (...)

5. Ziviler Ungehorsam

Volksentscheide und Begleitkampagnen sind nur zwei von vielen möglichen Mitteln. Wenn die Verantwortlichen aus Wohnungsbau und Politik, die derzeit unsere Stadt besitzen und beherrschen, uns das Recht auf eine Wohnung streitig machen, sind auch radikalere Protestformen wie Besetzungen von Leerstand oder die Blockade von Zwangsräumungen legitim und notwendig. Die Besetzer*innenbewegung seit den 1970er Jahren bis hin zu den jüngsten Sitzblockaden gegen Zwangsräumungen haben das immer wieder gezeigt.

Unser Ziel muss sein, die weitertreibenden Forderungen mit einer Strategie des zivilen Ungehorsams dort zu erzwingen, wo Veranstaltungen, Kundgebungen und Latschdemos ignoriert werden. Bei dieser Radikalität können wir jedoch nur erfolgreich sein, wenn wir die Bevölkerung mitnehmen, als Bewegung einer Mehrheit sind und nicht als Linke aus der Nische handeln. Wir brauchen breite Legitimität. Jede Gewalt gegen Personen verbietet sich daher, ebenso wie Personalisierungen anderer Art: Nicht Hipster, Schwaben und Tourist*innen sind unsere Feinde, sondern das Immobilienkapital. Wir kämpfen nicht gegen Einwanderung oder Neuberliner*innen, sondern für eine Stadt, in der alle willkommen sind.

Unser Ungehorsam darf daher kein Protestritual sein, sondern eine Einladung für die 85 % Mieter*innen in Berlin, von denen viele vielleicht zum ersten Mal demonstrieren oder protestieren. Eine Kultur des zivilen Ungehorsams ist unser Ziel, die Passivität überwindet und Protest zur Norm erhebt. Militanz darf daher nicht zum Fetisch werden. Wir müssen immer wieder neu diskutieren, an welchem Punkt wir zivilen Ungehorsam gezielt einsetzen können, so dass Privateigentum und Staat als Gewaltverhältnisse sichtbar werden. Die Kampagne »Zwangsräumungen Verhindern« hat dies an Beispielen vorgemacht, und die Besetzung eines Seniorenzentrums durch rüstige Rentner in der Stillen Straße hat 2012 gezeigt, dass ganz andere Formen von Hausbesetzungen möglich sind, bei denen nicht nur eine linke Szene ihre Interessen verteidigt, sondern sozialer Raum erfolgreich angeeignet wird.

Wichtig ist erstens der Mut, ein Ziel wie die Abschaffung des privaten Immobilienmarktes gemeinsam und entschieden zu vertreten, zweitens die Herstellung eines »Wir« aus Betroffenen, Initiativen und radikaler Linker, die sich so ein Ziel zu eigen macht und auf liebgewonnene Abgrenzungen verzichtet und drittens der Wille zur gemeinsamen strategischen Diskussion.

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