nd-aktuell.de / 10.01.2018 / Kultur / Seite 12

Sternsinger ohne Kopftuch

Religiöse Bekenntnisse in der Stadt der Konfessionslosen

Jürgen Amendt

Um die christliche Religion ranken sich viele Mythen und Irrtümer. So hält sich hartnäckig die Behauptung, bei den drei Buchstaben C+M+B, die in katholischen Gegenden jedes Jahr an einem 6. Januar an die Haustüren der Gläubigen (oder derer, die vorgeben, welche zu sein) gekritzelt werden, handele es sich um die Initialen der Heiligen Drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar. Das ist natürlich Humbug. Weder waren die drei, um die es in der Geschichte des Neuen Testaments geht, Könige, noch sind die drei Buchstaben die Anfangsbuchstaben ihrer Namen. Sie stehen vielmehr für die lateinischen Worte »Christus Mansionem Benedicat« - Christus segne dieses Haus. Die drei Kreuze (das dritte steht hinter dem letzten Buchstaben vor der Jahreszahl) bezeichnen den Segen im Namen des dreifaltigen Gottes.

Ein noch größter Irrtum über den christlichen Glauben ist jedoch die gebetsmühlenartig (!) wiederholte Behauptung, die in diesem Land verfassungsmäßig verbriefte Religionsfreiheit bestünde ausschließlich aus der Freiheit, seine Religion ungestört auszuüben, ja einen religiösen Glauben haben zu dürfen. Nun ist der erste Satz des betreffenden Artikels des Grundgesetzes (»Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich«) sicherlich nicht eindeutig, er lässt aber die Interpretation zu, dass damit auch die Zurschaustellung eines religiösen Bekenntnisses im öffentlichen Raum - mittels Kopftuch in einer Schule etwa - gemeint ist. Sofern damit keine Indoktrination verbunden ist, dürfte das auch nicht mit dem Recht von nicht gläubigen Schülerinnen und Schülern kollidieren, von religiösen Bekundungen verschont zu werden.

Solange die christliche Religion in Form ihrer beiden großen Kirchen gesellschaftlich dominant war, war selbst die schärfste Religionskritik Aufklärung, selbst der hetzerischste Kommentar gegen Gott und Glaube mit gebotener Toleranz, ja Akzeptanz auch von Seiten der Religiösen zu betrachten. In Berlin aber befinden sich die religiös Gebundenen mittlerweile in der Minderheit - und sind damit vergleichbar den Atheisten und Konfessionslosen in einer bayerischen Gemeinde. Sie sind also staatlicherseits zu schützen.

Von solcherart Gedanken dürfte der Chef der Berliner Senatskanzlei, Staatssekretär Björn Böhning (SPD) nicht beseelt sein (obwohl: vielleicht ja doch, man weiß es nicht), wenn er an diesem Mittwoch die Kinder aus der Spandauer St. Markus-Gemeinde empfängt. Die Sternsinger sind in diesem Jahr wieder unterwegs, um beim traditionellen Dreikönigsbrauch Geld für karitative Zwecke zu sammeln - diesmal für den Kampf gegen Kinderarbeit. Böhning findet das gut, ließ er mitteilen. »Kinder setzen sich für Kinder ein, und sie lernen dabei, dass wir auf unserem Planeten im Kleinen wie im Großen gemeinsam füreinander Verantwortung tragen.«

Das ist schön gesagt, noch besser aber wäre es, der Berliner Senat erinnerte sich an die gute alte Tradition, dass der Staat einst auch ein Sozialstaat war, dessen Leistungen nicht als Almosen gewährt wurden, sondern ein Grundrecht waren.

Übrigens: Von den als »Weise aus dem Morgenland« verkleideten Sternsingern tragen manche traditionell Turban, also eine muslimische Kopfbedeckung.