Das wollte ich ja alles gar nicht schreiben!

Prenzlpapas, Föhjetongs, Flüchtlingsbilder, Literaturscheiße und anderes krasses Zeug. Notizen aus dem Leben eines Romanautors.

  • Roberto B. Moldovan-Šmids
  • Lesedauer: 7 Min.
Ist meine ganze Romantik nur eine Flucht vor der Welt?

Ist dieser ganze Wahnsinn das, was Prenzlauer Berg aus mir macht?

Ist Prenzlauer Berg das, wo ich hingehöre und wo ich lieber explodieren würde?

Überhaupt, explodieren, aber das sage ich nur hier, weil’s im Roman ist und den sowieso wieder niemand veröffentlichen wird und also bleibt’s unter uns dreien, me myself and me.

Ich versteh’ die Terroristen nicht. Weihnachtsmarkt my ass. In den gefickten Prenzlauer Berg müssten sie gehen, Wichtigtuer in langen Mänteln, moderne Papas, die ihren Dreijährigen geduldig die Welt erklären, Einkäuferinnen mit viel Zeit, die sich den Glutengehalt auflisten lassen.

Bääämmmm!

Ich verstehe die Terroristen nicht. Würden sie wirklich das Maximum an Angst und Schrecken verbreiten wollen, Prenzlauer Berg. Boff. Da wohnen sie alle, die Berichterstatterlein. Wenn hier eine Eisdiele ihre Preise erhöht, ist das Topthema in allen Medien.

Aber dafür handeln die dann doch wieder zu irrational. Da haben die dann doch zu wenig originären Hass. Prenzlauer Berg, das kennen die gar nicht. Die wissen gar nicht, wie unerträglich das alles ist. Oder das ist der wahre Terrorakt: Prenzlauer Berg einfach unangetastet zu lassen, Tag für Tag macht es immer weiter und weiter, wuselt und brütet ungestört vor sich hin wie ein unbemerktes Wespennest, wie ein Alienembryo, wie ein Pilzgeflecht, das im Stillen alles untergräbt, wie der Supervulkan unterm Yellowstone Nationalpark, der sich sekündlich vorbereitet auf seinen nächsten großen Tag, und es gibt nichts, was wir dagegen tun könnten.

Oder es gibt schon zu viele Prenzlbergmütter, die ihre Kinder nur noch mit kugelsicherer Weste durchs Leben laufen lassen, weil ja immer was passieren könnte, und dann wäre das ganze Rumgeballer wieder sinnlos.

Vielleicht sind die Prenzlmamas mit ihren eingefrorenen Besserwissermienen auch selber schon so verhärtet, dass alles an ihnen abprallt, nicht nur das Leben.

Aber das wollte ich ja alles gar nicht schreiben. Ich wollte nur, als Ausgestoßener, meinem Hass auf den Literaturbetrieb und auf alles, was dazugehört, zum Ausdruck bringen.

Ich hasse die Themen. Ich hasse die Art, darüber zu berichten. Ich hasse, was für wichtig gehalten wird. Ich hasse, wie die Föhjetongs gar keine eigenen Maßstäbe mehr haben. Ich hasse, wie auf irgendwelche Nominiertenlisten gestiert wird. Ich hasse, wie du Aufmerksamkeit bekommst, wenn du die richtigen Leute kennst. Ich hasse, wie routiniert die ganze Scheiße runtergeschrieben wird, Leipziger Literaturscheiße, hasse, wie in den Büchern die Themen auftauchen, die durch die Medien gegeistert sind und da schon bescheuert und ungar waren.

Ich hasse, wie das alles, weil es unwichtig ist, zu enormer Wichtigkeit aufgeblasen wird.

Das scheint mir ohnehin ein Kennzeichen unseres Systems, oder vielleicht aller großen Gesellschaftssysteme zu sein: Je größer etwas aufgeblasen wird, desto unwichtiger ist es in Wahrheit. Und die brutalen, grundstürzenden Änderungen werden irgendwo in einer verschlafenen Ecke einfach durchgewunken.

Alles ist eh nur Unterhaltung. Machen wir uns da doch nichts vor. Auch Nachrichten sind Unterhaltung, mit dem Thrill des Authentischen. Dem Thrill der Bilder. Hast du geile Bilder, bist du eine Nachricht. Ist Bürgerkrieg in Jugoslawien und eine Million Leute kommt nach Deutschland, aber einfach so, ganz gesittet, dann ist das normal. Kommt aber eine Million Syrer und sie kommen zu Fuß, über Land, dann ist die Sensation groß: So macht man das aber nicht! Sie gehen über die Autobahn, jetzt stürzt der Himmel ein! Sie gehen einfach so über die Grenze!

Deutschland als solches ist in Gefahr. Alle unsere Werte, alle unsere Normen stehen vor dem Zerbröseln: Grenzen, Ruhe, Ordnung. Nicht dass diese Leute noch in der Mittagspause wandern! Oder am Sonntag!

Denen sind in ihrer Heimat die Bomben auf die Köpfe gefallen, aber das interessiert nicht. Denn das sind ja keine echten Leute, das sind ja bloß welche aus dem Unterhaltungsprogramm.

Die haben in unserer schön gezupften Realität nichts zu suchen.

Naja, und dann sind die Fernseher und die Radios und Webportale und Zeitungen voll davon. Flüchtlinge! Leute, die von zu Hause weglaufen! Krasses Zeug. Bis eben gab’s die ja noch gar nicht, außer vielleicht die blonde Tatortkommissarin, wenn die in Film-45 über die kurische Nehrung laufen muss, das hat sie hübsch gemacht. Aber richtig echte Fliehende, aus exotischen Ländern! Die man jetzt hier anfassen kann! Denen man eine Tafel Nussschokolade für 39 Cent das Stück in die Hand drücken kann, und dann gucken die ganz dankbar mit ihren braunen Kulleraugen! Wie krass ist das. Da müssen schleunigst 23 Milliarden Betrachtungen dazu geschrieben werden, und Reportagen, und Homestories, und Kommentare, und Fotoreportagen, und in allen Fernsehserien, vermute ich mal, laufen jetzt auf einmal Flüchtlinge durchs Bild, oder wenigstens Leute, die so ähnlich aussehen wie Flüchtlinge, die aber in Wirklichkeit deutschtürkische Kleindarsteller sind, die bislang immer nur den Gemüsehändler oder Kleinkriminellen geben durften, wenn sie nicht gerade für »Homeland« als Topterrorist eingekauft wurden, und die sind jetzt halt Flüchtlinge, und weil das Thema so gut eingeführt ist, explodiert das Thema dann in sämtliche Talkshows und Nachrichtensendungen und in alle Wahlkämpfe hinein, bis jeder Dünnschiss gesagt, jede These 86 mal hin und her gewendet worden ist und die Flüchtlingsgegner eine eigene Fraktion im Bundestag haben.

Welche kleinen, entscheidenden Stellschrauben für unser aller Zukunft in der Zwischenzeit neu eingestellt worden sind, das möchte man gar nicht wissen. Weil es zu ätzend ist. Und man es ja eh nicht aufhalten kann.

Eins jedenfalls ist klar: Noch ehe dieses Jahr so richtig losgeht, werden auch die Romane voller Flüchtlinge sein, ganz, ganz anrührende Geschichten, selbst Erlebtes oder Gutrecherchiertes, Engagiertes, Poetisches, Kraftvolles, das Mut macht und Gewissheiten in Frage stellt.

Und dann werden da noch Romane voller Genderfragen sein, und Veganerromane, Romane über die EU, Romane über die Achtundsechziger, die dieses Jahr ihr 50. Jubiläum begehen, Achtsamkeitsromane, Polygamieromane, Prenzlauerbergromane, neben all den Selbstfindungs-, Coming-of-Age- und Midlifecrisisromanen, neben all den Bowie- und Prince- und Lemmy-Kilmister-Romanen, neben all den Romanen von irgendwie total kultigen TV-Fressen, die außerhalb Deutschlands niemand für interessant oder auch nur andeutungsweise lustig halten würde, neben all den Romanen, die es immer gibt, in denen junge Autorinnen Einblicke in ihr Sexleben versprechen, und die Heerscharen der geifernden mittelalten Männer, die die Föhjetongs regieren, sublimieren in den gewagtesten Volten, dass sie beim Lesen die Faust in der Hose haben.

Na, egal. Meine Romane werden alle nicht veröffentlicht.

Ich schreibe sie und schreibe sie, und die Verlage wollen das immer alles supergern lesen, weil ich ja konnektiert sein könnte, und dann irgendwann steigen sie aus. »Zu viel Sex«. »Zu privatistisch«. »Die Figuren haben alle so komische Namen.« »Mir geht das alles zu schnell.« Deutschland in der Nacht.

Idee irgendwo im Hinterkopf, immer noch: Ich muss mir eine Biografie als hipper Kultautor aus Bulgarien besorgen, oder Rumänien, Guatemala, Slowenien. Irgendwo, wo die Leute auch Sex haben, statt sich die Nährstoffe auf ihrem Lauchaufstrich durchzulesen.

Roberto B. Moldovan-Šmids. Sohn chilenisch-tschechischer Einwanderer. The Män. Boah, hat der Sex! Das müssen wir unbedingt bringen.

Die Wahrheit ist. Ich fühle mich fremd.

Fremd im eigenen Land.

(Notiz an mich: Hier noch Zitat von Advanced Chemistry einfügen.)

...

Der Autor, 34, stammt aus der chilenischen Minderheit in Westrumänien und lebt seit zwölf Jahren als Literaturstipendiat in Berlin. In seiner Heimat gilt er als der »Tarantino des Dokumentarromans«. Stilistisch orientiert er sich an der Stanislaw-Dobritzki-Schule, transzendiert diese aber auch mit ultramodernen Elementen wie Goth-Lettering, Chat/Copy oder Cut-Up-Mouthing. Derzeit schreibt er an »Das Warten (Teil 34). Eine Reportage über mich selbst«.

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