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Gewonnen oder verloren?

Auch am Tag des Gedenkens für Luxemburg und Liebknecht können die Kontrahenten in der Linkspartei nicht aus ihrer Haut

Ein kleiner Zug formiert sich auf dem Vorplatz des Zentralfriedhofs in Friedrichsfelde. Angeführt von Spitzenpolitikern der Linkspartei, schreitet der Pulk von rund zwei Dutzend Menschen mit Kränzen und Gebinden zur Gedenkstätte der Sozialisten, begleitet von ebenso vielen Fotografen und Kameraleuten. Dann steht die Führungsriege der Linkspartei einträchtig vor den Grabplatten von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die am 15. Januar 1919 von Freikorps-Soldaten in Berlin erschossen wurden. Schulter an Schulter steht man, um innezuhalten. Luxemburg und Liebknecht, die sich mit ihrer ganzen Überzeugung für die Unterdrückten eingesetzt hatten, sind noch immer Vorbilder für die Linkspartei. »Dass solche Leute an der Seite der Linken standen, gibt einem eine moralische Rechtfertigung für das, was man tut«, sagte Gregor Gysi einmal.

Die Bilder vom stillen Gedenken, die die Linkspartei alljährlich am Todestag von Luxemburg und Liebknecht liefert, gleichen sich. Bernd Riexinger und Katja Kipping als Parteichefs bildeten ein Gedenkpaar, Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht als Vorsitzende der Bundestagsfraktion ein anderes. An der Gedenkstätte stehen sie am Sonntagmorgen alle beisammen, schreiten ruhig ihre Runde ab um den großen Findling mit der Inschrift »Die Toten mahnen uns«. Eine Demonstration der Eintracht. Die Risse, die sich zwischen beiden ungleichen Paaren seit geraumer Zeit aufgetan haben, sollen an diesem kalten Morgen keine Rolle spielen. Die Parteispitze müht sich, Geschlossenheit zu zeigen. Für 20 Minuten, dann löst sich die Gruppe wieder auf.

Sarah Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine, Fraktionsführer der saarländischen LINKEN, geben anschließend Fernsehinterviews, während Bernd Riexinger es vorzieht, mit Freunden und Genossen zusammenzustehen. Der Parteivorsitzende zum Anfassen hier, die Fraktionsvorsitzende vor den Kameras dort. Er richtet den Blick auf seine Leute, sie zieht die Blicke auf sich, Blicke ins Rampenlicht. Mehr und mehr Menschen kommen heran, zur Gedenkstätte, um Luxemburg und Liebknecht zu ehren und rote Nelken niederzulegen. Bis zum Nachmittag sind es Tausende.

Neben dem stillen Gedenken der Linkspartei fand auch in diesem Jahr wieder der Luxemburg-Liebknecht-Gedenkmarsch mit Teilnehmern eines breiten linken Spektrums statt. Die Polizei schritt bereits vor dem Beginn der Demonstration am Frankfurter Tor ein, weil einige kurdische Demonstranten verbotene Fahnen der PKK bei sich hatten. An dem Marsch auf der Frankfurter Allee zum Zentralfriedhof nach Friedrichsfelde nahmen wieder einige Tausend Teilnehmer teil, doch war die Resonanz etwas geringer als in den Jahren zuvor.

Das zweite Wochenende im Januar ist traditionell ein Wochenende der Linken. Und damit auch der Linkspartei, die der Demonstration am Sonntag seit Jahren ihren Jahresauftakt folgen lässt. Parteiprominenz rückt dort nahe zusammen, feiert sich in einer Gala mit Reden, Diskussionen und Musik. Doch schon am Vormittag war den Beteiligten klar, dass es am Nachmittag mit der Einheit wieder vorbei sein würde. Ausgerechnet der Veranstaltung im Berliner Kino »Kosmos« sahen Teile der Partei, darunter die Vorsitzenden, seit Wochen mit Argwohn entgegen. Unter den Teilnehmern waren sie deshalb nicht zu finden. Neben Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch war Oskar Lafontaine erschienen, der in den letzten Monaten mit polemischen Einwürfen für Unruhe in der Partei gesorgt hatte. Um die Flüchtlingspolitik ging es dabei, bei der er den Parteien im Bundestag und auch seiner LINKEN schwere Fehler vorwarf, und um eine verfehlte Orientierung auf bestimmte Milieus, aber auch um persönlich gefärbte Vorwürfe.

Und es ging um Lafontaines Idee einer linken Sammlungsbewegung. Mehrfach hat er diese in Interviews vorgetragen, inzwischen wird er dabei auch von Wagenknecht unterstützt. Die Sammlungsbewegung, nunmehr ist zuweilen auch bereits von einer neuen Partei die Rede, soll nach dem Vorbild der Bewegung des französischen Linkspolitikers Jean-Luc Mélenchon organisiert sein, der bei der letzten Präsidentschaftswahl aus dem Stand nahezu 20 Prozent geholt hatte. Auch Mélenchon war zum Jahresauftakt ins Berliner Kino »Kosmos« geladen und sollte hier eine Rede halten.

So etwas lässt bei der Parteiführung die Alarmglocken schrillen. Die beiden Vorsitzenden, die zu einem eigenen Politischen Jahresauftakt mit Empfang und Gremienberatungen am Freitag und Sonnabend geladen hatte, ließen keinen Zweifel daran, dass sie von Lafontaines Idee wenig bis gar nichts halten. Katja Kipping hatte dies bereits im Vorfeld deutlich gemacht. Und in einer Ansprache an das angereiste Führungspersonal aus Bund und Ländern beschwor sie am Samstag das Projekt der LINKEN als einer 15-Prozentpartei, zu der diese durchaus das Zeug habe. Ihr Potenzial solle nicht in unnötigem Streit vertan werden. »Erfolgreiche Neugründungen entstehen nicht als Idee im Interview, sondern aus gesellschaftlichen Bewegungen, die wir nicht erfinden können.« Neugründungen würden in der Regel von Promis dominiert, bevor sie von unten wachsen könnten. Mit der LINKEN gebe es bereits eine gewachsene Bewegung. »Bringen wir zusammen, was die Gesellschaft spaltet!«

Auch Bernd Riexinger kritisierte die Sammlungsbewegung. Er sieht darüber hinaus auch bei den von Lafontaine angesprochenen linken Sozialdemokraten, Grünen und Gewerkschaftern wenig Begeisterung. Die LINKE dürfe sich nicht schwächen lassen, warnte er vor den unabsehbaren Folgen für die eigene Partei. »Es war nach 2012 keine kleine Arbeit, die tiefen Gräben in der Partei zuzuschütten«, erinnerte Riexinger an den Beginn der gemeinsamen Amtszeit mit Kipping, als die Partei heillos zerstritten war.

Tatsächlich hat die Linkspartei Grund, selbstbewusst auf die letzten Monate und Jahre zu blicken. Bei der Bundestagswahl im September hat sie eine halbe Million Wähler hinzugewonnen, in den letzten beiden Jahren wuchs sie um 14 000 Mitglieder - 8500 neue Mitglieder waren es im letzten Jahr. Zwei Drittel der Neumitglieder sind unter 35 Jahre alt. »Wir sind damit im Westen die jüngste Partei«, freut sich Riexinger. Zugleich gibt es ernste Verluste unter der angestammten Klientel, unter Arbeitslosen wie prekär Beschäftigten, besonders im Osten.

Gewonnen oder verloren? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Vorstandstreffen am Wochenende und wird sich die Partei auch weiterhin beschäftigen. Die Idee einer neuen Sammlungsbewegung scheint solche Überlegungen nun mit einem Federstrich überflüssig machen zu wollen.

Am Sonntag erhielt der Dissens mit einem Interview neue Nahrung, in dem sich nach ihrem Ehemann auch Sahra Wagenknecht für eine solche Bewegung aussprach. »Natürlich wünsche ich mir eine starke linke Volkspartei«, sagte Wagenknecht dem »Spiegel«. »Wir müssen das weiterdenken und dafür werben. Es muss ein Funke überspringen.« Die linke Sammlungsbewegung könne nur funktionieren, wenn prominente Persönlichkeiten mitmachten.

Dass die Veranstaltung für einen solchen Funken sorgen solle, war allerdings nicht unbedingt zu erkennen. Der Bundestagsabgeordnete Diether Dehm, der die Gala im Berliner Kino »Kosmos« so wie in den letzten Jahren auch organisierte, hatte gegenüber »neues deutschland« Spekulationen zurückgewiesen, dass der Jahresauftakt zugleich der Auftakt einer solchen Sammlungsbewegung sein solle. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun.

Dies trifft natürlich nicht zu, da der Jahresauftakt im Schatten der Debatten über die Sammlungsbewegung stand. Aber niemand hätte die Teilnehmer für dieses Ziel vereinnahmen können. Auch Gregor Gysi hatte seine Teilnahme schließlich zugesagt, der wegen seines bevorstehenden 70. Geburtstages dem Vernehmen nach zunächst andere Pläne hatte und der ebenfalls bereits Kritik an den Plänen zu einer neuen Sammlungsbewegung geäußert hat. Eine Bewegung um die Linkspartei herum aufzubauen, hält er mit Blick auf Wahlerfolge in Frankreich oder Spanien zwar für überlegenswert, wie »Spiegel online« ihn zitierte. Darüber müsse die gesamte Europäische Linke nachdenken. Allerdings: »Eine Sammlungsbewegung zwischen verschiedenen Parteien halte ich für irreal, weil sie immer Trennungen und Verluste bedeutet.«

Was genau mit der Sammlungsbewegung gemeint ist, darüber herrscht letztlich noch immer Rätselraten. Kipping und Riexinger sehen ganz offenkundig die Gefahr eines von medialer Präsenz der Initiatoren übertönten »Bewegung von oben«. Dies widerspricht ihrem Anspruch einer sogenannten partizipativen Mitglieder- und Bewegungspartei. Gregor Gysi argumentiert in ähnlicher Richtung, wenn er meint, auf Personen zugeschnittene Parteien wie bei Emmanuel Macron, Jean-Luc Mélenchon, Sebastian Kurz und Christian Lindner (FDP) hingen immer von einer Person ab - mit ihr »steht, aber fällt auch alles«.

Der Versuch einer gegenseitigen Verständigung steht bisher aus, und man kann kaum den Eindruck gewinnen, dass dies in Kürze geschehen könnte. Beim Jahresauftakt der Fraktion fehlten die Parteivorsitzenden, dem Jahresauftakt der Partei blieben sowohl Wagenknecht als auch Lafontaine fern. Nur Fraktionschef Dietmar Bartsch war auf beiden Veranstaltungen zu sehen.

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