nd-aktuell.de / 18.01.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

In der Weimarer Republik wurde umverteilt

Eine neue Studie zeigt, dass die Einkommenskonzentration seit der Nachkriegszeit kontinuierlich zulegte

Simon Poelchau

Ludwig Erhards soziale Marktwirtschaft gilt vielen als guter Kompromiss zwischen Marktwirtschaft und sozialer Gerechtigkeit. »Ich will Ludwig Erhard zu Ende denken«, sagte sogar LINKE-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht einst in einem Interview. Der damalige Kapitalismus sei sozial gebändigt gewesen. Man habe von der gesetzlichen Rente im Alter leben können. »Bei Gesundheit gab es keine Zuzahlungen. Die Löhne stiegen. Hartz IV war noch nicht mal erdacht. Vor allem aber hatte die Politik mehr Spielräume, weil es noch nicht diese konzentrierte Wirtschaftsmacht gab.«

Doch nicht erst Erhardt hat die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland geschlossen. Dies geschah viel früher. Nämlich in der Weimarer Republik. »In den 1920er Jahren wurde eine Vielzahl von ungleichheitsreduzierenden Politikmaßnahmen umgesetzt«, schreibt Charlotte Bartels vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie.

Die Ökonomin ist Teil des Teams des französischen Starökonomen und Verteilungsforschers Thomas Piketty. Für dessen »Bericht zur weltweiten Ungleichheit 2018« wertete sie die Zahlen für Deutschland aus. Veröffentlicht wurde der Report Mitte Dezember in Paris. Am Dienstagnachmittag wurde er in den Räumen des DIW einer breiten Zuhörerschaft vorgestellt.

Das Fazit: Trotz des hohen Wachstums in den Schwellenländern ist die globale Einkommensungleichheit gewachsen. Dass sich in den letzten Jahren die Kluft zwischen armen und reichen Ländern verringert hat, konnte nicht kompensieren, dass die Kluft zwischen Arm und Reich innerhalb der Länder wuchs. So auch in Deutschland. Nach Bartels Berechnung ist der Anteil des obersten Prozents am Volkseinkommen seit 1995 von acht auf 13 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ging der Anteil der unteren Hälfte der Gesellschaft seitdem deutlich zurück. Indes waren die Privathaushalte zuletzt so vermögend wie nie zuvor. Ihr Geldvermögen stieg im dritten Quartal 2017 auf den Rekordwert von 5,779 Billionen Euro, wie die Bundesbank am Mittwoch mitteilte.

Bartels stützte sich für ihre Arbeit nicht allein auf Daten der vergangenen Jahrzehnte. Sie konnte auch auf Steuerdaten aus dem Deutschen Reich zurückgreifen. »Insbesondere preußische und sächsische Steuerdaten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind international für ihre hohe Qualität bekannt«, schreibt Bartels. So gelang ihr eine Rekons- truktion der Einkommensverteilung in Deutschland von 1871 bis 2013.

Bereits im Dezember, bei der Veröffentlichung des weltweiten Piketty-Berichts, sorgte eine Erkenntnis für viel Aufsehen: Die Ungleichheit zwischen gut und schlecht Verdienenden ist wieder ähnlich groß wie vor 100 Jahren. So kamen im Jahr 2013 die oberen zehn Prozent auf einen Anteil von 40 Prozent des Gesamteinkommens, während die untere Hälfte der Bevölkerung nur 17 Prozent auf sich vereinen konnte. Ähnliche Verhältnisse herrschten 1913.

»Die Top-Zehn-Prozent steigerten ihren Einkommensanteil ziemlich kontinuierlich von der Nachkriegszeit bis heute«, so Bartels. Gestern wie heute seien die absoluten Spitzenverdiener Unternehmenseigner. Und seit den 1970er hätten Unternehmens- und Vermögenseinkommen deutlich an Bedeutung gewonnen. »Deren Anteil am Volkseinkommen ist von ungefähr 33 Prozent in den 1970ern auf 40 Prozent gestiegen.«

Ganz anders in der Weimarer Republik: Dort sank der Einkommensanteil des reichsten Prozents von 20 Prozent im Jahr 1918 auf elf Prozent 1925 und blieb danach bis zur Machtübernahme der Nazis konstant. »Der gewachsene Einfluss der Gewerkschaften und die Einführung kollektiver Lohnverhandlungen trugen zu beträchtlichen Lohnerhöhungen bei, was wiederum zu niedriger Ungleichheit bei Arbeitseinkommen führte«, nennt Bartels eine Ursache für diese Entwicklung - neben der Anhebung des Spitzensteuersatzes von fünf Prozent vor dem Ersten Weltkrieg auf 60 Prozent 1920. Ein weiterer Grund: »Die Hyperinflation vernichtete den Wert von Geldanlagen und damit einen großen Teil der Kapitaleinkommen, stärkte aber die Lohneinkommen.« Unter den Nazis explodierten die Einkommen der Reichen wieder.