Untergrenzen gegen den Pflegenotstand

Kongress in Berlin: Es mangelt überall an Personal

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Personaluntergrenzen sollen die Lösung für den Pflegenotstand in Heimen und Krankenhäusern werden. Auch in den Sondierungsergebnissen für eine weitere Große Koalition aus SPD, CDU und CSU war davon die Rede. Nach ersten Schritten in besonders »pflegeintensiven« Bereichen der Kliniken soll der Ansatz für alle Krankenhausabteilungen gelten. Noch ist nicht absehbar, was unter dem Schlagwort genau zu verstehen ist.

Das fragen sich auch die Teilnehmer des Kongresses »Pflege 2018«, der regelmäßig zu Jahresbeginn von der Pflegesparte des Springer Medizin Verlags organisiert wird. Die Veranstaltung mit 1700 Teilnehmern und über 100 Referenten beginnt am Freitag in Berlin. Vorab äußerten sich am Donnerstag Branchenvertreter zu ihren Erwartungen an künftige Personaluntergrenzen.

Besteht die Gefahr, dass diese Grenzen schnell zu Obergrenzen werden? Das Problem sieht Peter Bechtel, Pflegedirektor des Universitäts-Herzzentrums Freiburg. Er verweist auf den so gut wie leer gefegten Personalmarkt. Ab 2019 sollen die Untergrenzen zunächst für besonders »pflegeintensive« Bereiche in Krankenhäusern, darunter für Intensivstationen und den Nachtdienst gelten. Bis Mitte 2018 müssen sich Krankenhäuser und -kassen darüber einigen, auch Gewerkschaften sind an den Gesprächen beteiligt. Bechtel warnt davor, dass dieser Schritt zu internen Personalumsetzungen führe - »und der Rest blutet aus«. Einerseits wünscht er sich Veränderungen für die Kollegen »am Bett«, andererseits lehnt er weitere Formalitäten ab. Der tagesgleiche Nachweis aller Schichtbesetzungen scheint ihm kaum möglich.

An diesem Punkt widerspricht ihm Wulf-Dietrich Leber, der im Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung die Abteilung Krankenhäuser leitet. Die Kliniken hätten ein Digitalisierungsproblem, insbesondere in der Pflege. Aus seiner Sicht müssten Daten nur zusammengeführt werden. Das Erlösmanagement sei schließlich auch »professionalisiert« worden. Leber hält den Aufwand für lohnenswert. Zunächst müsse geklärt werden, für welches Personal welche Grenzen gelten sollten.

Aus wissenschaftlicher Sicht verweist Michael Simon von der Hochschule Hannover auf die Vorgeschichte des Personalmangels an deutschen Krankenhäusern. Ein Notstand war schon einmal Anfang der 1990er Jahre konstatiert worden, dann gab es eine Reform zwischen 1993 und 1996. Anschließend begann der große Stellenabbau, der bis 2008 anhielt. Dieser habe das Problem weiter verschärft, angesichts der Belastung seien immer mehr Fachkräfte in die ambulante Pflege abgewandert. Auch die Zahl der Ausbildungsstellen sei in den vergangenen zehn Jahren um mehrere zehntausend abgebaut worden.

»Den Patienten fehlt es nicht nur an menschlicher Zuwendung, sondern sie sind in ihrer Sicherheit und Gesundheit gefährdet«, erklärt Simon und beruft sich auf Studien aus den USA oder Australien, wonach eine unterbesetzte und überlastete Pflege zu mehr Herzstillständen, Thrombosen oder Blutungen in den Kliniken führt. Zur Lösung des Problems seien jährliche Steigerungen bei Einstellungen und in der Ausbildung nötig.

Einerseits begrüßen Pflegemanager etwa die laut Sondierungsergebnissen vorgesehene Schaffung 8000 zusätzlicher Stellen für die Behandlungspflege in Heimen. Andererseits, so die Kritik, gebe es in der stationären Pflege zugleich einen Bedarf an mindestens 30 000 Fachkräften. Die angekündigten Sofortmaßnahmen seien in allen Bereichen überfällig.

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