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  • Berlin
  • Kritik an Initiative für mehr Videoüberwachung

Unzulässige Überwachungsträume

Gutachten: Gesetzentwurf der Initiative für mehr Kameras widerspricht Verfassung

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das Gesetz ist unzulässig«, das steht für Fredrik Roggan fest. Im Auftrag der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hat der Professor der Polizeihochschule Brandenburg in Oranienburg sich den Gesetzentwurf der Initiative des Volksentscheids für mehr Videoüberwachung vorgeknöpft. Die Initiative fordert ein Gesetz, in dem die Hürden für die Ausweitung der Video- und Audioüberwachung im Stadtgebiet deutlich gesenkt werden. Unter anderem »belebte Orte«, Fahrradabstellplätze oder Plätze mit großen »Menschenansammlungen« sollen nach Vorstellung der Initiatoren zukünftig überwacht werden. Thomas Heilmann, CDU-Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Justizsenator, der zusammen mit dem früheren Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) das Volksbegehren initiiert hat, fordert darin rund 2000 weitere Kameras an rund 50 Orten. Die genaue Zahl solle aber die Polizei festlegen, so Heilmann. Außerdem solle die Speicherfrist der Daten von momentan 48 Stunden auf einen Monat erweitert werden.

Viele Begriffe seien sehr unklar gefasst und wenig bestimmt, so Roggan. So sei von »belebten Orten« die Rede oder von einer »möglichst intelligenten Videoaufklärung« - beides Begriffe mit großem Interpretationsspielraum. Auch die zusätzliche Audioüberwachung stuft Roggan als »nicht verhältnismäßig« ein. Außerdem sei in dem Gesetzentwurf die Möglichkeit der verdeckten Überwachung vorgesehen. »Allein damit steht und fällt das Gesetz aus verfassungsrechtlicher Sicht«, so Roggan.

Heilmann verteidigt seinen Entwurf auf nd-Anfrage. Er fühlt sich missverstanden. Die Möglichkeit der verdeckten Überwachung habe man nur für den Fall in den Text geschrieben, »wenn jemand das Schild abschraubt«, das auf die Videoüberwachung hinweist. Er macht deutlich: »Wir wollen keine anonymisierte oder verdeckte Videoüberwachung.« Bei anderen Punkten räumt er missverständliche oder unklare Formulierungen ein. Den Entwurf könne man nach Erreichen der 20 000 Unterschriften diesbezüglich überarbeiten. »Vielleicht kann man die ein oder andere Formulierung noch besser machen«, so Heilmann.

Ein K.-o.-Kriterium für den Gesetzentwurf sei allerdings, so Roggan, dass Berlin ein solches Gesetz gar nicht erlassen könne, da der Bundesgesetzgeber diesen Bereich bereits »in abschließender Weise« geregelt habe. Insofern sei der Landesgesetzgeber »an der Schaffung von Befugnissen mit strafverfolgungsvorsorgendem Charakter gehindert«. Dieses Argument hält Heilmann hingegen für absurd: »Unser Entwurf ist sehr, sehr ähnlich zu dem in Hamburg geltenden Gesetz, und das ist bereits höchstrichterlich vom Bundesverwaltungsgericht 2012 abgeklärt.«

Niklas Schrader, Datenschutzexperte der Linksfraktion, sieht in Anbetracht des nun vorliegenden Gutachtens keine Zukunft mehr für das Volksbegehren. Der Gesetzesvorschlag könne gar nicht mehr so grundlegend verändert werden, wie es nötig sei, da es sonst Probleme mit der Glaubwürdigkeit gegenüber den Erstunterzeichnern gebe. Schrader kommt zu dem Schluss, dass es »schwer möglich ist, dieses Volksbegehren weiterzuführen«.

Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, äußert sich ebenfalls kritisch zu dem Volksbegehren. Er sagt: »Ich teile die Ansicht, dass das Videoüberwachungsgesetz verfassungswidrig ist.« Allerdings sieht er auch eine Herausforderung, das Sicherheitsempfinden der Berliner zu stärken und kündigt an: »Wir werden als Koalition über geeignete Maßnahmen für mehr Sicherheit im öffentlichen Raum sprechen.«

»Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass man auf der jetzigen gesetzlichen Grundlage mehr Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten machen sollte«, sagt Innensenator Andreas Geisel (SPD) auf nd-Anfrage. Allerdings: »Wenn man sich den Gesetzestext anschaut, dann enthält er einen Reihe von Passagen, die auch in meinem Haus als verfassungswidrig eingeschätzt werden«, so der Innensenator.

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