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Vertane Möglichkeit

  • Lesedauer: 3 Min.

Haben Sie sich schon mal allein mit ein paar Verstreuten in einem unbeleuchteten Fußballstadion aufgehalten, wo sich sonst Tausende tummeln? Oder nachts auf einem Bahnhof - zwei, drei Silhouetten im Halbdunkel, aber kein Zug weit und breit? In der Abflughalle eines Airports, in der vereinzelte Jetsetter zwar noch abgefertigt werden, aber man ahnt schon, dass kein Flugzeug mehr fliegt? Haben Sie sich auch schon mal ausgemalt, wie sich das anfühlen wird, wenn dem Kapitalismus endlich jemand das Licht ausknipst? Ich habe so was neulich erst erlebt, und ich kann Ihnen sagen: Es fühlt sich schaurig an. Schaurig und irgendwie schön.

Im Prinzip hätte mich schon die Bezeichnung des Wochentags stutzig machen können, an dem mir das passierte. Sonnabend. Wie kann es mitten im Winter Abend sein und zugleich die Sonne scheinen? Geht nicht. Aber über so was denkt ja keiner nach, wenn er ein Wort so selbstverständlich benutzt wie das. Es war jedenfalls Sonnabend, genauer: Keine-Sonn-später-Nachmittag, als ich zur Kaufhalle hetzte, um den Familieneinkauf zu besorgen. Dass etwas nicht stimmte, war schon aus der Entfernung zu erkennen. Weil die stets bis zum nächtlichen Ladenschluss in hellem Licht erstrahlende Supermarktfiliale sich nur schemenhaft vom Januargrau abhob, ging ich bald davon aus, dass die Kinder mal einen Sonntag lang ohne ihr Müsli auskommen müssten.

Aber warum war der Laden geschlossen? Statt umzukehren, ging ich hin. Und potzblitz: Die Tür stand ja offen. Sogar ein paar Leute wandelten zwischen den prall gefüllten Regalreihen umher wie Zombies unter den sirrenden Funzeln der Apokalypse. Wie ein Licht ging mir auf, dass da bloß das Licht ausgegangen war. Stromausfall. Als die freundliche Verkäuferin, die am Eingang postiert worden war, mein Zögern bemerkte, ermutigte sie mich zum Hereinkommen. Man mache weiter »bis zum bitteren Ende«, lachte sie. Ein Notstromaggregat sorge derzeit dafür, dass wenigstens ein paar Deckenstrahler - und natürlich die Kassen - noch in Betrieb seien.

Während ich beklommen meinen Einkaufswagen an den ausgeschalteten Kühlregalen vorbeischob, in denen die Milchprodukte ihrem vorgezogenen Verfallsdatum entgegensiechten, wartete ich auf den Moment, in dem die Punks aus dem Park gegenüber den Laden stürmen und die Getränkeabteilung plündern würden. Die Revolte war zum Greifen nahe - genau wie der superteure Käse, den wir uns sonst nicht leisten wollen. Und, ja, ich gestehe: Es hat erheblich in den Fingern gejuckt. Aber ich schob nur und guckte und prüfte und legte so viel in den Wagen, wie meine Bargeldvorräte hergeben würden. Die Kartenlesegeräte waren nämlich ebenso außer Gefecht gesetzt wie der Pfandgutautomat.

Als ich gezahlt hatte, hörte ich den Filialleiter am Ausgang nervös telefonieren: Er würde ja schließen, herzlich gern sogar. Aber wie denn, wenn die gläserne Schiebetür sich von Hand nicht bewegen lasse? Freimütig, hieß das, lud der Kapitalismus die Punks zu seiner Fledderung ein. Aber sie kamen nicht.

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