Kauder und sein Freund, der Kauz

In dieser Woche wäre Peter Struck 75 Jahre alt geworden; ein Buch erinnert an den eigenwilligen Politiker

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein wenig unangenehm war es Volker Kauder wohl doch, wenn Peter Struck ihm im Bundestag über zwei Treppenabsätze hinweg lauthals zurief: »Vermisst du mich?« Vor allem in Zeiten der schwarz-gelben Koalition, wenn der Fraktionschef der Union gerade mit dem Fraktionschef der FDP Rainer Brüderle zusammenstand. Dann nutzte Struck die kleine Provokation für eine große Genugtuung. Ein Freund war der geborene Bündnispartner Brüderle für Kauder nie, der geborene politische Gegner Struck von der SPD aber schon. Die Zeiten der Großen Koalition lagen damals schon eine Weile zurück, in denen das Gespann Kauder und Struck an der Spitze der Regierungsfraktionen Union und SPD Freunde geworden waren und offenbar noch lange danach gern in den gemeinsamen Erinnerungen schwelgten. Deshalb konnte Kauder nach eigenem Bekunden nicht anders, Struck auch in dieser leicht peinlichen Situation zu bestätigen: Ja, er vermisse ihn. Auch, wenn Brüderle danebenstand.

Kauder bekennt, er vermisse Struck noch immer. Peter Struck starb kurz vor Weihnachten 2012, da war er noch keine 70 Jahre alt. Und in dieser Woche, am 24. Januar, wäre er 75 Jahre alt geworden. Für Kauder war dies Anlass zu einer besonderen Erinnerung: ein Buch, das er initiierte und das am Mittwoch vorgestellt wurde. Herausgeber Volker Kauder als Gast der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Vorsitzender Struck die letzten beiden Jahre seines Lebens gewesen war - und die ebenfalls beteiligte Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU - vertreten durch ihren soeben aus dem Amt geschiedenen Vorsitzenden Hans-Gert Pöttering. So viel Harmonie zwischen Christ- und Sozialdemokraten war angetan, eine Freundschaft wie die zwischen Kauder und Struck sehr bald als das zu empfinden, was sie ist - zwischen Menschen auf gleicher gesellschaftlicher Ebene, die die gleichen Werte teilen und und allenfalls über unterschiedliche Ausdeutungen und Sozialisierungen in Disput geraten würden: nämlich normal. Freundschaft in der Politik ist ein vermintes Feld, aber es gibt sie, wie dieser Fall zeigt.

Um Männerfreundschaften wird gern ein wenig Tamtam gemacht, wenn die Beteiligten wichtig genug sind. Dies trifft hier zu. Ein Kauz war dieser Struck, der sich gern in seiner Motorradkluft zeigte oder mit Pfeife im Mund. Ein raubeiniger Norddeutscher, über den das Buch Attribute wie Glaubwürdigkeit, Bodenständigkeit, Führungsstärke und Menschlichkeit zusammenträgt. Kauder legt auf das Vertrauen wert, das gegenseitig nötig war in ihrer beider Aufgabe und auf das er sich verlassen konnte. Andrea Nahles, heutige Nachfolgerin Strucks an der SPD-Fraktionsspitze, erinnert sich an einen Mann, der Respekt ausstrahlte, aber auch Respekt zollte. Und so weht sanft die Rührung herüber - im Buch wie in den Ebert-Stiftungssaal voller interessiertem Publikum. Und ein wenig Rührseligkeit auch.

Doch der Politiker Struck, der seine Fraktion auf Linie brachte, der Parteisoldat, der auf Disziplin pochte und als Bundesverteidigungsminister davon sprach, dass Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde - dieser Peter Struck konnte nicht jedermanns Freund sein. Und das wollte er auch nicht. Durchsetzungskraft ist eine nicht nur sympathische Fähigkeit in einem Gewerbe, in dem es dauernd Sieger und Besiegte gibt.

Die Große Koalition, deren vierte Auflage jetzt womöglich vor der Tür steht, galt damals noch als eine Ausnahme. Sie hatte es in der alten Bundesrepublik nur einmal gegeben. 2005 dann hatte SPD-Kanzler Gerhard Schröder über eine Vertrauensabstimmung Neuwahlen herbeigeführt und diese schließlich verloren. Eine Regierung aus Union und SPD war die Folge, aber sie als abnorm zu empfinden, wie Schröder selbst es darstellte, war schon damals übertrieben - hatten doch die »Volksparteien« bereits zuvor gemeinsam dafür gesorgt, dass die tiefen Schnitte in bisherige gesellschaftliche Normen, die sie bis heute als unabdingbar für das Wohl des Landes darstellen, so reibungslos wie möglich über die politische Bühne gehen konnten. Der erste Krieg, an dem Deutschland sich seit 1945 beteiligte, und die Agenda-2010-Reformen, beide wurden in kaum bemäntelter Einigkeit von damals rot-grüner Regierung und der Union in der Opposition durchgesetzt.

Doch auch wenn die gut besuchte Gedenkveranstaltung am Mittwoch sich als Buchvorstellung nur notdürftig tarnte, ist der Band kein Gedenkbuch. »Politische und parlamentarische Erinnerungen für Peter Struck«, heißt es im Untertitel, nicht Erinnerungen »an Peter Struck«. Ein Buch für Struck, so ist es von Kauder gemeint, und die Erörterungen mehrerer Autoren über Aussichten des Parlamentarismus, die schwierige Balance zwischen Regierung und Bundestag, das Spiel der Kräfte im »Fegefeuer« der Fraktionen und die entscheidende Rolle der Vorsitzenden hierin ist ein lesenswerter Beitrag zur aktuellen politischen Debatte.

Dass inzwischen Talkshows zum Hauptmittel der Politikaneignung werden, Politiker nach ihrem Show-Wert und weniger ihrer Kompetenz beurteilt werden, ist zu beklagen und wird auch im Buch beklagt. Um nicht gegeneinander ausgespielt zu werden, hatten Kauder und Struck vereinbart, nur gemeinsam im Fernsehen aufzutreten. Wenn einer einzeln eingeladen wurde, ging er nicht hin. Wenn es nach Kauder ginge, könnte es so bleiben. Und Andrea Nahles schien ebenfalls wild entschlossen.

Volker Kauder (Hg.): Die Fraktion - Machtzentrum und Fegefeuer. Politische und parlamentarische Erinnerungen für Peter Struck. 248 Seiten, 29,90 Euro

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