Im Land der Anderen

Eine Fotoausstellung im Haus am Kleistpark untersucht Folgen gesellschaftlicher und technologischer Umbrüche

  • Manuela Lintl
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Aufarbeitung deutsch-deutscher Geschichte sowie den Auswirkungen der immer rasanteren technologischen Entwicklungen widmet sich die aktuelle Ausstellung »In einem anderen Land« im Haus am Kleistpark. Am Beispiel zeitgenössischer Arbeiten aus einem Zeitraum von 1976 bis heute von dreizehn deutschen Fotografinnen und Fotografen sollen Auswirkungen radikaler Transformationsprozesse auf Biografie und Arbeitstechniken der Künstler untersucht werden.

Die Ausgangsfrage der Kuratoren Gabriele Muschter und Uwe Warnke lautet, ob und wie sich der politische Systemwechsel und die technologischen Veränderungen speziell auf das Werk von Künstlern auswirken. Sie verfolgten bei der Zusammenstellung der Werke einen anthropologischen Ansatz. Die Ausstellung ist dabei nur die Speerspitze ihres wesentlich umfassenderen Forschungsprojektes, denn seit 2013 hat das Team inzwischen über 50 filmische Interviews vor allem mit Künstlerinnen und Künstlern zum Thema Transformationsprozesse geführt. In den aufgezeichneten Gesprächen geht es ebenfalls um Fragen nach dem Umgang mit gesellschaftlichen und technologischen Umbrüchen im Hinblick auf die eigene Biografie und Arbeitsweise. Eine kleine Auswahl dieser filmischen Interviews ist in der Ausstellung zu sehen.

Die Fotoausstellung ist somit eine erste visuelle Bestandsaufnahme und öffentliche Präsentation des Forschungsprojektes. Hier versuchen die Kuratoren, durch Gegenüberstellung von künstlerischen Arbeiten aus verschiedenen Entstehungszeiträumen möglichen Veränderungen beziehungsweise Transformationsprozessen im jeweiligen Werk nachzuspüren. Die Künstler stammen aus beiden Teilen Deutschlands, sodass auch hier Vergleiche möglich sind.

Der Titel der Exponatenschau ist einer Inschrift an der Fassade eines Hauses in der Berliner Brunnenstraße entlehnt und zitiert einen lapidar formulierten Kommentar zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung: »Menschlicher Wille kann alles versetzen. Dieses Haus stand früher in einem anderen Land.« Den Auftakt bilden über zehn Arbeiten des konzeptuellen Fotoaktionisten Kurt Buchwald (geb. 1953 in Wittenberg) im Projektraum im Erdgeschoss des Hauses. Neben wuchtigen, wandfüllend angeordneten fotografischen Werkzyklen wie »London« (1990) oder »Blende hoch, Berlin 10435« (1994/2016) sind auch selbst konstruierte Apparaturen seiner an Fluxus und Dada erinnernden Aktionen zu sehen.

Als Fotokünstler experimentiert der gelernte Ingenieur immer wieder mit Störungen der Kamerasicht und untersucht so das fotografische Medium an sich. Etwa, indem er Scheiben in unterschiedlichen geometrischen Formen mit Löchern, mit Spalten, in Schwarz oder in Farbe vor die Kamera montierte und so fast abstrakte Bildmuster statt abbildhafte Dokumentarfotos anfertigte. Mauerfall und Systemwechsel scheinen sich bei Buchwald nicht in einer Änderung der Arbeitsweise niedergeschlagen zu haben, im Gegenteil, er beobachtet und kommentiert weiterhin durch seine Arbeit das gesellschaftspolitische Geschehen kritisch bis zynisch, aber nicht ohne Humor.

Die weiteren Positionen sind in den großzügigeren Galerieräumen im zweiten Obergeschoss zu sehen. Eingangs stößt man auf drei großformatige Farbfotografien von Erasmus Schröter (geb. 1956 in Leipzig) aus der Serie »Bunker« (1999 - 2004). Nach der Wende arbeitete Schröter in Hamburg für bekannte Magazine wie »Stern«, »Spiegel« oder »Art«, daneben entstanden als auftragsfreie Arbeiten Serien mit lichtinszenierter Fotografie.

Die skurrilen architektonischen Kriegsrelikte, aber auch Lauben, Waffen oder Pflanzen werden dazu in farbiges Licht getaucht und anschließend fotografiert. So entstehen stimmungsvoll aufgeladene Motive. Vergleicht man die spektakulär inszenierten Bunker mit den sechs kleinformatigen, noch vor der Wende entstandenen schwarz-weißen Infrarotaufnahmen der Serie »Nachts« (1980 - 1981), springen zunächst die formalen Unterschiede ins Auge. Doch man bekommt auch den Eindruck, der Fotograf habe sich seinen Blick auf Besonderheiten und Absurditäten im Leben bewahrt, nutze aber die sich neu bietenden technischen Möglichkeiten, um von einer demaskierenden zu einer maskierenden Sichtweise zu gelangen.

Mit fast stoischer Konsequenz verwenden Chronisten wie Christian Borchert (1942 - 2000 ) und Barbara Klemm (geb. 1939) Fotografie in ihrem ureigensten dokumentarischen Sinn. Borchert arbeitete zunächst als Bildreporter der »Neuen Berliner Illustrierten« und erst später als freiberuflicher Fotograf. Sein Ziel war, gegen das Verschwinden zu arbeiten und Fotografie zur Schaffung von Erinnerungsbildern zu nutzen. Seine sozio-dokumentarischen Familienporträts zeigen Eltern unterschiedlicher Berufsgruppen mit ihren Kindern einmal in den achtziger Jahren und dann nach der Wende in den Neunzigern am selben Ort.

Die vielfach ausgezeichnete Pressefotografin Barbara Klemm schuf in der Serie »Die Dinge des Lebens« ganz ähnliche Bilder, nur eben westdeutscher Familien. Berühmt wurde sie durch zahlreiche, immer schwarz-weiß angefertigte Bildreportagen etwa über Studentenunruhen, politische Ereignisse, Alltagsszenen und die hier gezeigten Szenen aus dem geteilten und wiedervereinigten Deutschland.

»In einem anderen Land: Transformationsprozesse an Beispielen zeitgenössischer Fotografie in Deutschland« bis zum 29. März im Haus am Kleistpark/Projektraum, Grunewaldstr. 6/7, Schöneberg.

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