Zwischenstopp in Beringia vor 24 000 Jahren

Ein neuer Fund zeigt, dass die ersten Menschen wohl nur über eine Landbrücke zwischen Alaska und Sibirien nach Amerika kamen. Das macht eine frühere Besiedlung als bisher vermutet wahrscheinlicher

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Ben Potters Archäologenteam 2013 zwei Kinderskelette am Tanana-Fluss in Alaska fand, war das schon eine Sensation, denn die Fundumstände deuteten auf ein für amerikanische Verhältnisse hohes Alter hin. Die weiteren Analysen zeigten, dass hier vor 11 500 Jahren Menschen lebten. Solche frühen Menschenfunde sind vor allem in Alaska oder Nordkanada selten, obwohl man nach der allgemein akzeptierten Einwanderungstheorie dort die ältesten Funde erwarten sollte. Die Beringia-Theorie geht davon aus, dass Jägergruppen aus Zentralsibirien auf der Suche nach neuen Jagdgründen über Tschukotka und eine einstmals bestehende Landbrücke über das Beringmeer nach Alaska vordrangen.

Die Gründe für die nur vereinzelten Funde sind vielfältig. Hier lebten nur kleine Jägergruppen, die lediglich flüchtige Spuren hinterließen, der Vormarsch und Rückzug von Gletschern zerstörte viele Hinterlassenschaften. Überdies liegen Teile der vermuteten damaligen Siedlungsgebiete heute unter dem Meer.

Die 2013 ausgegrabenen Skelette, eines von einem etwa drei Monate alten Baby, das andere von einem etwa 30 Wochen alten Fötus, erhielten die technischen Bezeichnungen »Individuum 1 und 2« bzw. USR1 und USR2 nach dem Fundort Upward Sun River. Insbesondere USR1 enthüllte Einzelheiten, die die Theorie von einem Zwischenstopp in Beringia unterstützen.

Bislang ist umstritten, wann die ersten Menschen über die Beringia-Landbrücke kamen und ob dies in mehreren Wellen geschah. Ben Potters Team zog das Kopenhagener Institut für GeoGenetics unter Leitung von Eske Willerslev zu Rate. Das Institut erhielt eine Knochenprobe, aus der die Wissenschaftler das komplette Genom von USR1 isolieren konnten. Die Ergebnisse der Genomanalyse veröffentlichte das Team um Potter und Willerslev im Fachjournal »Nature« (Bd. 553, S. 206)

USR1 ist mit seinen 11 500 Jahren nicht der älteste menschliche Fund in Amerika, aber sein Genom verrät, dass es zu einer Gruppe gehörte, die zu den letzten gemeinsamen Vorfahren aller Indianer zählte. Weitere Vergleiche machten auch klar, dass USR1 genetisch mit den sibirischen Verwandten zusammengehörte, aber die Trennung von diesen schon rund 25 000 Jahre zurücklag. Für solche Datierungen greifen Genetiker zu statistischen Methoden. Da bekannt ist, wie viele Generationen es dauert, bevor neue Genomlinien und -untergruppen entstehen, kann man auf diese Art zurückrechnen, wann Trennungen stattgefunden haben müssen. Im Falle von USR1 und damit den modernen Indianern bedeutet dies, dass ihre Vorfahren sich von den sibirischen Verwandten vor etwa 36 000 Jahren trennten, aber bis vor etwa 24 500 noch Genaustausch sprich Sex miteinander hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits Beringia erreicht. Die endgültige Trennung vor 24 500 Jahren wird durch geologische Untersuchungen bestätigt. Zu dieser Zeit rückten die Gletscher wieder vor und schnitten die Bewohner von Beringia, zu dem auch das Tanana-Delta in Alaska gerechnet wird, von Ostasien ab. Hier waren die Lebensbedingungen weiterhin relativ günstig und ermöglichten einer Gruppe von wenigen Tausend Menschen ein auskömmliches Leben.

Vor etwas 14 000 bis 17 000 Jahren teilte sich diese Gruppe weiter auf. Die Gletscher wichen soweit zurück, dass sich einerseits ein Korridor an den Rocky Mountains öffnete und anderseits eine Wanderung in Booten längs der Küste möglich wurde. In genau diese Zeit fällt denn auch die Trennung der beiden heute noch bestehenden genetischen Linien der amerikanischen Ureinwohner in die nord- und südamerikanische Gruppe. Die Berechnung des isolierten Aufenthaltes in Beringia und die folgende Aufsplitterung aus dem Genom von USR1 passt im Übrigen gut zu den Datierungen des Fundorts Monte Verde an der chilenischen Küste. Das erste Auftauchen von Menschen vor 12 000 bis 14 000 Jahren wird plausibel durch die frühere Datierung der Besiedelung Beringias vor mehr als 24 000 Jahren.

Die geografischen Entfernungen zwischen den späteren nord- und südamerikanischen Genomträgern waren aber in der Aufsplitterungsphase noch nicht so groß, dass nicht weiterhin ein Genaustausch möglich gewesen wäre. Die genetischen Untersuchungen von USR1 untermauern damit die Theorie, dass alle Indianer von der ursprünglichen Gruppe in Beringia abstammen und es nur eine Einwanderung nach Amerika gab.

Die Frage, warum die Gruppe, zu der USR1 und USR2 gehörten, ausstarb, lässt sich noch nicht beantworten. Ein Einzelfall in der Besiedlungsgeschichte Amerikas ist es aber nicht, denn auch weitaus spätere Einwanderergruppen wie die Träger der polaren Saqqaq- und Dorset-Kulturen starben innerhalb weniger Generationen aus.

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